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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ins Herrenhaus fand. Doch der Verkauf an die Pächter und Tagelöhner brachte dem Hersteller ein hübsches Zubrot ein.
    Auch die Prozesse der Alkoholgärung und der Destillation verfolgte Maximilian mit Spannung. Doch zu Zeiten, in denen nicht in der Fabrik gearbeitet wurde und der Siedemeister anderen Aufgaben nachging, erkundete er, oft in Gesellschaft seiner Schwester, die geheimnisvollen Kästen im ungenutzten Lagerraum. Hier stapelten sich nämlich die Sendungen, die ihr Onkel Lothar in unregelmäßigen Abständen zu schicken pflegte. Dieser Onkel, obwohl permanent abwesend, war bei Weitem faszinierender und unterhaltsamer als Tante Laurenz. Er reiste in der ganzen Welt umher und sammelte die kuriosesten Dinge. Eigentlich hätten sie die Truhen nicht öffnen dürfen, aber Dorothea, die mit Stick- und Häkelnadel nicht ganz ungeschickt war, schaffte es, die Schlösser aufzubringen. Und so bestaunten die beiden seltsame hölzerne Masken aus Afrika, Statuen peinlich unbekleideter Neger, bunten Feder- und Perlenschmuck, tönerne Gefäße mit primitiven Mustern, braune Glasfläschchen, deren Beschriftungen darauf hinwiesen, dass sie exotische Samen enthielten, etwa die des Affenbrotbaums, oder Krähenaugen, auch Brechnuss genannt. Sie entdeckten ein paar Rollen aus faserigem Schreibmaterial, auf denen in unbekannten Schriftzeichen und Bildern mysteriöse Texte aufgezeichnet waren, aus blauem Stein geschnittene Käfer und eine Sammlung schillernder Schmetterlinge. Auch Gesteinsproben fanden sich, manchmal von metallischen Adern durchzogen, auf anderen wuchsen durchscheinende, farbige Kristalle. Gelegentlich lagen in Kladden gebundene Aufzeichnungen dabei, und so konnten sie sich ein ungefähres Bild machen, warum ihr Onkel diese Dinge zusammengesammelt und zum Einlagern an seine Schwester, die Baronin, geschickt hatte. Er war ein Abenteurer, so viel stand fest, und sein Name wurde wenn, dann nur hinter vorgehaltener Hand genannt. Doch Kinderohren sind spitze Ohren, und an die drangen die Aussagen, dass er, ohne sich um die familiären Verpflichtungen zu kümmern, durch ferne Länder zog, dubiose Geschäfte mit den Eingeborenen tätigte und vermutlich ein lasterhaftes Leben führte.
     
    Die Schatztruhen ihres Onkels fesselten Dorothea eine ganze Weile, aber dann machte sie noch einen weitaus köstlicheren Fund. Einer der Kästen – sie hielten ihn zunächst auch für eine Übersee-Sendung – entpuppte sich als Behältnis für unzählige, in marmoriertes Papier gebundene Hefte. Vollgeschrieben waren sie, mit einer sorgfältigen Damenhandschrift. Hin und wieder fiel ein kleines Blümchen, getrocknet und gepresst, aus den Seiten, ein zierlicher Scherenschnitt oder auch ein Seidenbändchen. Dorothea vermutete Tagebücher, Herzensergüsse einer längst verstorbenen Ahnin, und nahm, um ihre Neugier zu befriedigen, eines der Hefte mit sich. Sie fand schnell heraus, dass es sich um keinerlei alltägliche Aufzeichnungen handeln konnte, sondern um ungeheuer fesselnde Geschichten. Sie verschlang ein Heft nach dem anderen, oft unter Seufzen und mit Tränen in den Augen. Denn wenn auch literarisch weder in Stil noch Gestaltung erwähnenswert, handelte es sich doch jedes Mal um das erschütternde Schicksal einer durch missliche Umstände in Leid und Elend gebrachten Heldin, die staubbedeckt, in Lumpen, gefangen in Kerkern, misshandelt von bösartigen Mitmenschen, hungernd und frierend, darauf wartete, von einem kühnen Ritter, einem stolzen Grafen, einem edelmütigen Piraten oder einem blendenden Offizier erlöst zu werden und anschließend in edle Gewänder gehüllt, wohlfrisiert und in ihrer ganzen Schönheit erblüht eine glänzende Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
    Dorothea konnte sich nur zu gut mit der Rolle des geknechteten Aschenputtels identifizieren, auch wenn sie weder hungern noch frieren musste. Aber sie war ein einsames, ja beinahe vernachlässigtes Kind. Nie hatte eine Kinderfrau es länger als zwei Jahre bei ihnen ausgehalten, nie hatte sie Wärme und Zärtlichkeit von ihnen erfahren oder ein vertrauliches Beisammensein gekannt. Auch ihre Mutter kümmerte sich selten um sie. Einzig zu den nachmittäglichen Einladungen hatte sie in makellosem weißem Kleid, gestärkter Rüschenschürze und mit sorgsam gebürsteten Locken zu erscheinen. Sie durfte nur sprechen, wenn sie gefragt wurde, und dann auch nur die mühsam eingetrichterten Floskeln verwenden, musste knicksen und höflich lächeln. Machte sie einen

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