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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Fehler, wurde sie anschließend gerügt und bekam einen Vortrag über standesgemäßes Verhalten zu hören.
    Ihr Vater gönnte ihr noch nicht einmal diese Aufmerksamkeit. Für ihn war sie ein lästiger Kostenfaktor, der baldmöglichst an einen anderen Mann abgetreten werden sollte.
    Welch Wunder, dass sie, Karamellen oder kandierte Früchte lutschend, die seelentröstenden Geschichten verschlang und davon träumte, einst – möglichst in nicht zu weiter Zukunft – an der Seite eines stattlichen Verehrers aus ihrem jämmerlichen Dasein zu entfliehen.
    Es dauerte übrigens eine ganze Weile, bis sie herausfand, dass die Autorin der gefühlvollen Ergüsse ihre Tante Laurenz war. Die hatte ihre verlorenen Hoffnungen und ihr wollüstiges Sehnen Jahr über Jahr in marmorierten Heften zu Papier gebracht.
    Dorothea beschloss, dass für sie diese brennenden Wünsche in Erfüllung zu gehen hatten.

Der Flügelschlag des Schmetterlings
    Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könnte, rot;
Da sprach ich schauend im Vorübergehn:
So weit im Leben, ist zu nah am Tod!
Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.
    Sommerbild, Hebbel
     
     
    »Friedrich Jahn haben sie nach Kölleda ausgewiesen«, teilte Adi Gericke, der Kaffeeröster, uns mit. Dabei stellte er den Sack mit den Kakaobohnen ordentlich in die für ihn vorgesehene Ecke in der Backstube.
    »Müsste uns das betrüben, Herr Gericke?«, fragte meine Mutter und stäubte Mehl auf die Arbeitsplatte.
    »Mich zumindest tut es das. Erst hat man ihn in Festungshaft genommen, dann vor drei Jahren begnadigt, aber unter Polizeiaufsicht gestellt und nun schon wieder aus der Stadt getrieben, wo er sich gerade niedergelassen hat. Weil er dort Kontakt zu Schülern und Lehrern aufgenommen hat. Kleingeistig, sage ich Ihnen. Kleingeistig!«
    Ich wuchtete den angewärmten Reibstein aus dem Ofen und legte ihn in sein Gestell, in dem die glühenden Kohlen in dem Kasten darunter ihn auf gleichbleibender Temperatur halten konnten. Wir lauschten gewöhnlich gerne den Klatschgeschichten des Kaffeerösters, der für uns die Kakaobohnen vorbereitete. Aber diesmal war uns der Mann, über den er sprach, unbekannt.
    »Was für ein Verbrechen hat dieser Herr Jahn denn begangen?«, wollte ich wissen, während meine Mutter die erste Portion Bohnen aus dem Sack entnahm.
    »Er hat geturnt.«
    »Geturnt? Ist das etwas Schlimmes?«
    Gericke schnaubte und erklärte: »Das sind Leibesübungen. Die Turner exerzieren so ähnlich wie die Soldaten das Laufen, Springen und Klettern. Ich habe sie mal auf der Hasenheide hier in Berlin beobachtet. Da hat Jahn seinen ersten Turnplatz errichtet. War schon ein seltsames Bild. Alle Männer trugen graue Hosen und Kittel, standen mit stramm herausgedrückter Brust in Riegen vor den Turngeräten, und wer an der Reihe war, musste über ein hölzernes Pferd springen oder an Stangen Überschläge zeigen.«
    »Und was sollte das Ganze?« Meine Mutter schaute, genauso irritiert wie ich, von dem Teigklumpen auf, den sie aus der Schüssel gehoben hatte.
    »Sie betreiben es, um stark und gewandt zu werden.«
    Ich musste grinsen, denn gerade kam mein Stiefvater Fritz mit hochgekrempelten Ärmeln und einem schwer beladenen Backblech herein.
    »Sie könnten auch arbeiten, nicht wahr? Ich meine, Papa Fritz ist ganz schön stark, oder?«
    Mein Stiefvater schob das Blech in den Ofen und fragte Gericke, was er für Neuigkeiten brachte, und der berichtete nochmals von Jahns Ausweisung.
    »Turner!«, schnaubte er auf die Nachricht hin verächtlich. »Diese Turner, das sind Studenten oder Schreiberlinge. Diese Hänflinge brauchen solche Übungen, um ein bisschen Schmalz auf die Knochen zu kriegen.«
    »Vermutlich. Aber was ist denn nun so verbrecherisch daran?«, erkundigte sich meine Mutter, die mit kraftvollen Bewegungen den Hefeteig knetete. Fritz erklärte es, bevor Gericke den Mund aufmachen konnte: »Studenten, Gymnasiasten und ähnliche Leute – wenn die zusammenkommen, dann entwickeln sie aufrührerische Ideen. Die haben unserem König vorgeworfen, sich nicht um die versprochene Verfassung zu bemühen, und solche Sachen. Vor zehn Jahren oder so haben sie ein großes Turnfest auf der Wartburg veranstaltet, bei dem Bücher verbrannt wurden. Gesetzesbücher!« Wie üblich klang mein Stiefvater bei solchen Themen empört. Er

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