Göttertrank
sprachen die Fakten gegen sie.
Dann endlich fand sich eine zufriedenstellende Lösung.
Eine entfernte Verwandte, die bisher die Tante des Barons in ihrer Hinfälligkeit betreut hatte, war nun durch den Tod der alten Dame ihrer Verpflichtungen ledig und konnte anderweitig eingesetzt werden. Sie erhielt ein Zimmerchen in einem entlegenen Flügel des Gutshauses, ihre Kisten und Kästen mit persönlicher Habe, die in den Schränken keinen Platz fanden, wurden im Lagerraum der stillgelegten Zuckerfabrik untergebracht. Sie durfte an den gemeinsamen Mahlzeiten der Familie teilnehmen, eine Ehre, die sie selten in Anspruch nahm, und sich um die Beaufsichtigung der drei Kinder kümmern. Das war inzwischen keine allzu beschwerliche Aufgabe mehr, denn Dorothea und Maximilian standen unter der Aufsicht eines Hauslehrers, der ihnen die Grundzüge der notwendigen Bildung angedeihen ließ. Eugen, der kleine Nachkömmling, war ein phlegmatischer Knabe, der mit seinen vier Jahren selten zu Klagen Anlass gab. Er hatte erst spät zu sprechen begonnen und zeigte auch keinen großen Bewegungsdrang. Meist saß er still vor sich hin träumend in seinem Kinderstühlchen und lutschte am Daumen.
Tante Laurenz, wie die würdige Dame tituliert wurde, obwohl das die familiäre Beziehung nur in etwa wiedergab, hatte das vierzigste Lebensjahr weit überschritten. Es hatte sich für sie nie ergeben, einen passenden Gatten zu ehelichen. Zum einen, weil ihre Mitgift mehr als bescheiden ausgefallen war, zum anderen, weil es ihr auch an jeglichem weiblichem Reiz mangelte. Sie war mager und blass, ihr von Grau durchzogenes Haar glatt wie Schnittlauch, ihre Nase zu scharf, und mit dem linken Auge schielte sie erbarmungswürdig. Dennoch hatte sie, als ihr das kleine Erbe der Verstorbenen zufiel, als Erstes in recht absonderlichen Putz investiert. Besonders eine grüne Federboa hatte es ihr angetan, die ihr ständiger Begleiter wurde. Die Kinder ignorierten ihre Erziehungsversuche in seltener Einigkeit.
Bei denen des Hauslehrers gelang ihnen das weniger. Obwohl aus sehr unterschiedlichen Gründen hassten Dorothea und Maximilian den stillen, aber unnachgiebigen Mann. Dorothea, weil sie Lernen für lästig hielt und sich zwar das Schreiben einigermaßen, die Grundrechenarten mühsam angeeignet hatte. Literatur, Landesgeschichte und Naturkunde ließen sie hingegen völlig kalt. Nicht so ihr Bruder. Der entwickelte sich zum rechten Quälgeist für seinen Lehrer, denn unablässig stellte er ihm Fragen, insbesondere zu naturkundlichen Themen, die dieser humanistisch ausgebildete Scholar nur unzulänglich beantworten konnte.
Beide Kinder fanden Alternativen zum Unterricht.
Maximilian hatte schon früh und ohne Wissen, geschweige denn Billigung seiner Eltern, die aufgelassene Zuckerfabrik auf dem Gutsgelände erkundet und hier ein weites Betätigungsfeld entdeckt. Zum einen interessierten ihn die Geräte dort, und der ehemalige Siedemeister hatte seinen Spaß daran, dem wissbegierigen Jungen zu erklären, wie man noch bis vor sechs Jahren, als Zuckerrohr unerschwinglich war, hier Runkelrüben zu Zucker verarbeitet hatte. Einen Teil des braunen Kandis war dann mit Chemikalien weiterbehandelt worden, wodurch schließlich weißer Zucker entstand, der im herrschaftlichen Haushalt verwendet wurde. Der braune Zucker aber war für die anspruchslosen Pächter und die Dorfbewohner ein billiger Süßstoff. Wenn auch nicht mit den eigentlichen chemischen Prozessen vertraut, so konnte der Siedemeister doch recht gut erklären, wie die Umwandlung von Runkelrübe in Zuckerhut vonstattenging. Inzwischen wurden die Gerätschaften jedoch nur noch einmal im Jahr benutzt und das auch zu einem ganz anderen Zweck. Ein Überschuss an gelagertem Rohrzucker auf dem internationalen Markt, Resultat der von Napoleon verhängten Kontinentalsperre, hatte das Land mit dem billigem Produkt aus den Kolonien überschwemmt, die zeit- und personalaufwendige Herstellung aus heimischen Gewächsen konnte damit nicht konkurrieren. Doch auf ein paar Feldern wurden noch süße Rüben angebaut. Nach der Ernte im Herbst setzte der Siedemeister aus den geschnitzelten Wurzeln eine Maische an. Von ihr ließen Dorothea und Maximilian wohlweislich die Finger, eine einmalige Kostprobe der gärenden Masse hatte ihnen die besagten üblen Bauchkrämpfe verursacht. Die stark alkoholische Maische wurde im Frühjahr zu einem kratzigen, hochprozentigen Branntwein destilliert, von dem nie ein Tropfen seinen Weg
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