Göttertrank
umzudrehen?«
»Vor einigen Jahren hätte ich eine derart undamenhafte Regung sicher schnellstens unterdrückt. Aber jetzt, da Sie es erwähnen – ja, mit dem größten Vergnügen.«
»Dürfte ich diesen Brief behalten, Frau von Viersen? Er könnte ein wichtiges Beweismittel sein. Sie hat Alexanders Unterschrift recht gut nachgemacht, aber seine ist unregelmäßiger.«
»Wenn er dazu dient, den guten Ruf von Herrn Masters wiederherzustellen, wird mein Gatte nichts dagegen haben. Er schätzt ihn als Ingenieur. Und seltsamerweise...«
Sie verstummte abermals, und ich konnte mir fast denken, was geschehen war.
»Sie haben Ihren Frieden gemacht, nicht wahr?«
»Ja, wir haben unseren Frieden gemacht.«
Mehr gab es nicht zu sagen. Darum fragte ich nur: »Möchten Sie noch ein Törtchen?«
Und über die nächste halbe Stunde plauderten wir über Backrezepte und Cremeherstellung, und ich gab ihr zum Abschied noch eine Auswahl meiner neuesten Pomaden und Salben mit.
Die Mischung aus Kakao, Zucker, Talg und Mandelöl war schon recht genießbar, doch das Mischungsverhältnis war diffizil. Besonders ansprechend war der Geschmack, wenn das Öl den Talganteil übertraf, dann aber wurde die Masse nicht fest genug. Feingemahlene Mandeln aber machten sie brüchig, und ich schob die letzten zwei Täfelchen enttäuscht zur Seite und zog frustriert meine Unterlippe zwischen die Zähne. Vermutlich war es besser, für heute Schluss zu machen. Außerdem war soeben die kleine Brandblase an meinem Mund wieder aufgesprungen, die ich mir gestern zugezogen hatte, als ich mit geschmolzenem Zucker hantierte. Ich ging zur Anrichte, wo immer ein Salbentopf stand, damit wir uns die Hände nach der Arbeit eincremen konnten, und tupfte mir von der Kakaobutteremulsion auf die Lippe.
Die Erkenntnis kam, wie alle großen Erkenntnisse der Welt, völlig unspektakulär.
Sie war einfach da.
Sie war so simpel, dass ich laut zu lachen anfing und Puschok mich strafend anmaunzte.
Mit fliegenden Händen mischte ich die Mengen zusammen – gesüßte Schokolade und leicht angewärmte Kakaobutter. Nur ein Hauch Vanille war nötig, um den Geschmack abzurunden. Auf dem Papier, auf dem die Täfelchen abkühlten, notierte ich die einzelnen Mischungsverhältnisse, dann räumte ich die Küche auf.
Von draußen klangen die zwölf Schläge der Mitternacht herein, und Puschok beschloss, die kühle Septembernacht mit seinen Freunden in den Gärten zu verbringen. Ich öffnete ihm pflichtbewusst die Hintertür, und er stolzierte mit erhobenem Schwanz in die Dunkelheit.
Als ich schließlich die letzten Töpfe, Löffel und Messbecher abgetrocknet und fortgeräumt hatte, war die Schokolade erstarrt. Ich nahm die Täfelchen einzeln in die Hand, um sie mitten durchzubrechen. Ein, zwei von ihnen waren zu trocken, die anderen hatten genau die richtige Härte. Ich steckte ein Stückchen in den Mund, und sanft schmolz der bittersüße Traum auf meiner Zunge.
Ich hatte das Ziel meiner Sehnsucht erreicht.
Der Kakao schmeckte genauso gut, wie er duftete.
Das Klopfen an der Hintertür riss mich aus meiner Verzückung. Eigentlich war es unvernünftig, einem Fremden lange nach Mitternacht zu öffnen, doch ich war so euphorisch, dass ich darüber gar nicht nachdachte. Ich öffnete – und fand mich in Alexanders Armen wieder.
»Amara – Amara, ich bin zu Hause. Gott, wie habe ich diesen Duft vermisst! Ich bin zu Hause.«
Er wollte mich küssen, was unmöglich war, denn mich schüttelte ein Schluckauf, ein Lachkrampf hing in meiner Kehle, und aus meinen Augen quollen die Tränen.
»Amara, was hast du?«
»Alle, aber auch alle Ziele erreicht. Da, probier mal!«
Statt ihm einen Kuss zu geben, steckte ich ihm ein Stück Schokolade zwischen die Lippen. Auch er spürte den Schmelz und die Süße und nickte dann.
»Du hast es geschafft.«
»Und es ist so simpel. Und so billig.«
»Dann, Liebste, werden wir auch alle anderen Ziele erreichen. Ich habe viel Gepäck dabei.«
Fernweh
Nach Westen, o nach Westen hin
Beflügle dich mein Kiel!
Dich grüßt noch sterbend Herz und Sinn,
Du meiner Sehnsucht Ziel!
Kolumbus, Brachmann
Die frische Brise zauste Jan Martins Haare und wehte sie ihm um die Stirn. Er wischte sie zur Seite und beschattete die Augen, um über die schaumgekrönten Wellen der Nordsee nach einem Segel Ausschau zu halten. Seit einer Woche war er täglich nach Bremerhaven hinausgeritten, um am Strand zu wandern und dabei die Schiffe zu
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