Göttertrank
gegeben, die Tide aufzuhalten. Und es verlangte schnelles, energisches Handeln, wenn es sich in eine brodelnde Gefahr verwandelte.
Nach einer Weile blieb Jan Martin wiederum stehen, um nach den Masten Ausschau zu halten. Ja, sie waren über die Horizontlinie hinausgestiegen und mit bloßem Auge zu erkennen. Er stellte das Fernrohr neu ein, und in dem Rund der Linse erschien der Dreimaster. Was für ein Anblick! Weiß leuchteten die Segel im hellen Sonnenschein, majestätisch wie eine vollbusige Königin in höchster Rage jagte das Schiff durch die Gischt. Direkt auf ihn zu!
Es musste die Estrella sein, die Kurs auf Bremen nahm.
Er beschloss zurückzuwandern und richtete dabei immer wieder den Blick nach draußen. Als er bei seinem Pferd angelangt war, hielt er noch einmal inne, um das Schiff zu beobachten. Es war die Estrella . Sie war näher gekommen, und durch die vergrößernden Linsen konnte er nun schon die Takelung erkennen. Ein sehnsüchtiger Seufzer entfuhr ihm. Jetzt auf dem Deck stehen, die Füße auf die sonnengebleichten Planken gestemmt, breitbeinig, um Sturm und Wellen zu trotzen, die Finger um ein kratziges, feuchtes Tau geklammert, durchnässt von Spritzwasser, Salz auf den Lippen! Fast meinte er das Orchester zu hören, das auf dem Schoner unter vollen Segeln spielte – das Knarzen des Holzes, das Knallen und Schlagen des Tuchs, das Singen des Windes in den Wanten, das Rauschen der Wellen und die rauen Stimmen der hart kämpfenden Matrosen, die unflätige Shantys grölten, während sie mit schwieligen Händen die störrischen Segel refften.
Jan Martin schüttelte den Kopf, um seine Gedanken wieder auf die irdischen Belange zu zwingen. Er saß auf und ritt Richtung Bremen, um seiner Familie die Ankunft der Estrella zu vermelden.
Sie traf, von zwei Schleppern gezogen, am nächsten Tag mit der Mittagsflut in Vegesack ein. Lothar und Jan warteten am Kai, um die Besucher zu empfangen.
Der Plantagenbesitzer und seine Frau verließen als Erste das Schiff, ihnen folgten einige Bedienstete, dann trat Inez hocherhobenen Hauptes an Land.
Lothar begrüßte die Familie mit herzlichen Worten, und Jan neidete ihm seine gewinnende, liebenswürdige Art, denn er selbst wurde wieder von seiner Schüchternheit gepackt und fand nicht mehr als die üblichen Höflichkeitsfloskeln.
Bis er Inez gegenüberstand.
Sie war nicht mehr das sechzehnjährige Mädchen, das ungestüm über die Plantage galoppierte, lachend mit ihrem Bruder tollte, mit klebrigen Fingern Limonade zubereitete und beim Laufen die Röcke schürzte.
Sie war eine junge Frau von königlicher Haltung. Ihre dunklen Augen blickten kühl und interessiert umher, im Frühlingslicht glühten blaue Funken in ihrem schwarzen Haar auf, und ihr makellos weißes Kleid umspann einen schlanken, aufrechten Körper.
Sie wandte sich Jan Martin zu und streckte ihm ihre Hand entgegen, während sie ihn mit einem Lächeln genauer in Augenschein nahm.
Leider fiel Jan keine einzige englische Vokabel mehr ein.
Das Lächeln in dem von der Sonne leicht gebräunten Gesicht vertiefte sich, und mit einer honigfarbenen Altstimme sagte Inez: »Wie schön, Sie wiederzusehen, Doktor Jan. Sie haben noch immer so schön blond Haar wie damals.«
Darauf fiel Jan auch keine deutsche Vokabel mehr ein. Stattdessen zog er ihre Hand an die Lippen und verbeugte sich.
»Habe ich Sie gemacht Überraschung, Doktor Jan?«
Es klang schelmisch, und endlich besann er sich wieder auf den Gebrauch seiner Zunge.
»Ja, Sie überraschen mich, Fräulein Inez. In jeder Form. Sie überraschen mich sehr. Und es ist eine wundervolle Überraschung. Nicht nur, dass Sie unsere Sprache gelernt haben.«
»Nicht nur?«
»Nein, obwohl ich als Botaniker wissen sollte, dass aus einer schönen Knospe nur eine vollendete Blüte werden kann.«
»Oh!« Sie lachte auf. »Sie haben das gesagt sehr nett. Aber nun zeigen Sie uns Ihr Stadt, Doktor Jan.«
Lothar und Jan Martin riefen die wartende Kutsche herbei, die das Gepäck aufnehmen sollte, und geleiteten die Besucher zu einer zweiten, die sie in ihr Hotel bringen würde.
Am darauffolgenden Tag trafen sie sich alle bei Jantzens an der Kaffeetafel, und durch die geschickte Vermittlung Lothar de Hayes gelang es auch den steifen Bremern schon bald, ein anregendes Gespräch mit dem Plantagenbesitzer und seinen beiden Damen zu führen. Inez und Jan Martin aber suchten sich immer wieder mit Blicken, und als die üppige Tafel aufgehoben wurde, bat er sie,
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