Göttertrank
führen.«
»Vierhundertsiebenundneunzigmal, Amara. Das war jetzt das vierhundertachtundneunzigste, und ich habe es mir noch immer nicht gemerkt. Es ist hier nämlich sehr viel gemütlicher als oben, Frau von Viersen.«
Die Dame, die ich in Beverings Apotheke als elegische Schönheit in blassem Violett kennengelernt hatte, wirkte erstaunlich energisch. Selbst das safrangelbe Promenadenkleid unterstrich diese Wirkung.
»Liebe Frau Bevering, ich muss dem Mädchen recht geben, es duftet göttlich hier.«
»Amara, ich finde, die Erdbeertörtchen sehen komisch aus. Meinst du nicht, wir sollten die erst einmal unter uns probieren, bevor wir sie den Kunden anbieten? Was, wenn du mal wieder Zucker und Salz vertauscht hast?«
»Was Frau Bevering gewiss jeden zweiten Tag passiert«, meinte unsere Besucherin belustigt. Ich gab auf.
»Nehmen Sie Platz, Frau von Viersen, aber achten Sie darauf, dass Ihr Kleid nicht mehlig wird.«
»Störe ich auch wirklich nicht?«
»Nein, ich bin so gut wie fertig, und Julia wird uns einen Kaffee kochen. Das wenigstens übersteigt nicht ihre Fähigkeiten.«
»Gestern habe ich das Wasser anbrennen lassen...!«
»Sie sehen, wir arbeiten sehr ungezwungen miteinander«, meinte ich mit einem entschuldigenden Achselzucken und stellte die blauen Steingutteller und die dicken Küchentassen auf den Tisch. Oben hatten wir feinstes weißes Porzellan und silbernes Besteck, aber das herunterzuholen, erschien mir unsinnig.
»Es ist gemütlich, in einer Küche zu sitzen, Frau Bevering. Und Gerüchten zufolge wird es als eine ganz besondere Ehre angesehen, zu dieser hier Zutritt zu erlangen.«
»Was mich erstaunt, denn eigentlich treffen sich hier nur meine engsten Freunde.«
»Eben drum, Frau Bevering«, antwortete sie, und Puschok sprang ihr auf den Schoß.
»Verzeihen Sie!« Ich wollte den Kater fortscheuchen, aber sie legte ihre Hand um seinen Rücken, und er schnurrte sie zufrieden an.
»Seit zwei Jahren habe ich auch eine Katze. Sehr tröstliche Tierchen.«
»Verschmust ist unser Hausgeist ohne Zweifel.«
Julia klapperte mit der Kaffeekanne, ich stellte die Törtchen auf den Tisch und setzte mich Laura von Viersen gegenüber. Julia, sehr wohlerzogen, schenkte uns ein und verschwand lautlos aus dem Raum.
»Ich vermute, es ist nicht der Ruf meiner Küchengesellschaft, Frau von Viersen, der mir die Freude Ihres Besuches verschafft?«
»Nein, Sie haben völlig recht, ich habe einen anderen – sehr delikaten – Anlass.« Sie nahm mit anmutigen Bewegungen einen Bissen von dem Gebäck und nickte anerkennend. »Köstlich! Aber davon abgesehen... nun, wie fange ich es nur an?«
»Ich vermute, Sie haben Nachrichten oder Informationen, die mich oder nahe Freunde betreffen, liege ich da richtig?«
»Ja. Aber, verzeihen Sie, es ist eigentlich sehr indezent von mir, zu Ihnen zu kommen...«
Es war nicht schwer zu erraten, über wen sie sprechen wollte.
»Alexander Masters befindet sich derzeit in Berlin. Und Sie denken, dass ich Ihnen weiterhelfen kann.« Ich lächelte sie an. »Ich habe damals das Cremedöschen sehr bewundert.«
Sie wurde rot, hielt meinem Blick aber stand.
»Es war schon vorbei...«
»Und es hat jetzt gerade erst begonnen.«
»Ich weiß. Ich... pardon, ich hoffe, Sie sind glücklich.«
»Er ist schon lange fort.«
»Um dem Gerede zu entgehen. Ein kluger Schachzug. Ich habe das Getuschel verfolgt und mir meine Gedanken gemacht. Frau Bevering, ich habe Alexander als einen durch und durch integren Menschen von ausgezeichneten Manieren kennengelernt. An dieser Affäre stimmt etwas nicht.«
»Richtig, so weit sind wir auch schon gekommen.«
»Würde es Ihnen helfen, wenn ich Ihnen von der Irritation berichte, die dieses Schreiben bei meinem Mann ausgelöst hat?«
Sie zog aus ihrem Retikül einen Brief, auf dem ich das Emblem der Nettekoven’schen Firma erkannte. Ich nahm ihn entgegen und überflog ihn. In gestochen schöner Schrift wurde dem Kommandanten der Artilleriewerkstatt in Deutz darin mitgeteilt, man habe leider keine Kapazität, die in der Anfrage genannten Maschinen zu produzieren. Man schlage vor, sich behufs dessen mit der Firma Reinecke in Elberfeld ins Benehmen zu setzen, die bestimmt gerne den Auftrag ausführen würde.
Das vermutete ich auch. Nur zu gerne.
»Sie sind ganz blass geworden, liebe Frau Bevering.«
»Vor Wut«, knirschte ich hervor. »Ausschließlich vor Wut! Haben Sie je das Bedürfnis gehabt, Paula Masters den mageren Hals
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