Göttertrank
ihn auf einen kleinen Spaziergang zu begleiten.
»Es sind so hübsch klein Häuschen hier!«, begeisterte sich Inez. »Wie für Puppen.«
»Das lassen Sie die würdigen Bewohner aber nicht hören, Fräulein Inez«, mahnte Jan sie. Er hatte seine Schüchternheit wieder in den Griff bekommen, aber vollkommen entspannt fühlte er sich in ihrer Gegenwart noch nicht. Sie indessen plauderte drauflos und lachte dabei über die Stolperfallen, die ihr die fremde Sprache stellte.
»Wie kommt es, dass Sie Deutsch gelernt haben, Fräulein Inez?«
»Oh, ganz einfach. Ich wollte Leute selbst verstehen. Ohne immer eine Dolmetsch. Sie wissen doch genau, wie das ist.«
»Das ist wohl richtig.« Jan erinnerte sich an die ersten quälenden Wochen, in denen er kaum ein Wort Spanisch verstanden hatte.
»Und außerdem bin ich eine Hinterlist.«
»Tatsächlich? Das hätte ich nie vermutet, Fräulein Inez.«
»Doch, doch, eine ganz böse Hinterlist. Weil ich kann übersetzen, Papa wird mich mitnehmen zu Geschäftsgesprächen. Und, wissen Sie, manchmal muss man ihm neue Dinge – geschmackvoll? – machen.«
»Schmackhaft. Ja, ich verstehe. Sie kümmern sich sehr um die Führung der Plantage, nicht wahr?«
»Er hat sich noch nicht ganz daran gewöhnt. Aber manchmal kann er sich nicht wehren.«
Jan fragte sich, ob man sich überhaupt gegen eine Frau wie Inez wehren konnte, und ahnte die Antwort, dass es ihm aller Wahrscheinlichkeit nach vollends unmöglich war.
»Wie sieht denn die Planung Ihrer Reise aus?«, wollte er wissen, und sie berichtete ihm von ihren Vorhaben. Sie wollten im Laufe des Monats nach Hamburg aufbrechen, wo ihr Vater gewisse Herren aufzusuchen wünschte, danach würden sie nach Berlin reisen. Valmont besaß einige Empfehlungsschreiben, die ihm die Türen zu einflussreichen Personen öffnen würden, mit denen Gespräche über Einfuhren, Zölle und Handelsbedingungen geführt werden sollten.
»Und wir wollen Gilbert Ehre erweisen. Sie haben geschrieben, dass nun bekannt ist, wie er starb. Es hat noch einmal Wunden aufgerissen, Doktor Jan. Aber ich bin froh, dass Ihre Freundin Amara nicht schuld daran ist.«
»Darüber bin ich auch sehr glücklich.«
»Sie mögen Frau Amara viel gerne?«
Jan schwieg. Ja, es gab eine Zeit, da waren seine Gefühle für Amara sehr nahe dem gekommen, was er für Liebe hielt. Aber er hatte nie eine Möglichkeit gefunden, sich ihr zu erklären. Da war einst Gilbert, dem sie weit mehr zugeneigt schien als ihm. Und als er sie wiedertraf, war sie mit Bevering verheiratet. Dann warf ihn das Drama in Irland völlig aus der Bahn, und erst Melisande konnte ihm aus seinem Tal der Finsternis heraushelfen. Melli hatte ihn geheilt, wofür er ihr auf immer dankbar war, aber sie hatten einander nicht geliebt und waren nun gute Freunde. Amara aber hatte Alexander gefunden.
»Ein Brechen von Herz, Jan?«, fragte Inez leise und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Nein, nicht mehr. Sie ist großartig, Fräulein Inez, und ich bewundere sie sehr. Aber – nein, mein Herz ist nicht gebrochen.«
»Ich möchte sie kennenlernen. Vielleicht über Gil mit ihr sprechen.«
»Kommen Sie nach Ihrem Aufenthalt in Berlin nach Bonn, Fräulein Inez. Machen Sie eine Fahrt den Rhein entlang, das ist sehr romantisch. Es gibt Weinberge und alte Burgen, malerische Städtchen und gefährliche Strudel. Und einen Drachen, der auf einem Berg haust und einen gewaltigen Schatz behütet.«
»Was ist ein Drache?«
Jan Martin erklärte ihr Abstammung, Charakter und Angewohnheiten der feuerschnaubenden Echsen mit solch ernster wissenschaftlicher Diktion, dass einige Passanten stehen blieben, um verblüfft die junge Dame zu mustern, die sich schier in Lachkrämpfen wand.
»Ich muss kommen, Doktor Jan. Ich muss. Ich muss Drachen streicheln und Rheinwein trinken und Frau Amaras Schokolade essen.«
»Kommen Sie im August, dann findet das große Beethovenfest statt. Wie es heißt, wird uns sogar die Queen Victoria beehren.«
»Nun, wenn die englische Königin kommt, wird Papa auch dabei sein wollen.«
»Dann gilt es als abgemacht?«
»Ganz sicher, Doktor Jan. Aber – werden Sie auch dort sein?«
»Ganz sicher, Fräulein Inez.«
Irgendwie war seine Sehnsucht nach dem Meer in den Hintergrund getreten, stellte Jan mit Erstaunen fest.
Tochter aus Elysium
Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmels prächt’gen Plan,
Wandelt, Brüder, eure Bahn,
Freudig wie ein Held zum Siegen.
An die Freude, Schiller
Der
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