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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Arbeit wieder aufgenommen. Sie war nicht nur im Nähen von feiner Unterwäsche geschickt, sondern auch darin, lukrative Aufträge zu akquirieren. Schon bald konnte sie drei weitere Frauen beschäftigen, die unter ihrer gebieterischen Leitung täglich bis zu vierzehn Stunden in einem engen Hinterzimmerchen saßen und eifrig die Nadeln schwangen. Da die sich wandelnde Mode nun wieder zahlreiche Unterröcke und sogar langbeinige Unterhosen für die Damen vorschrieb, konnte sie auf eine gleichbleibend gute Beschäftigung vertrauen. Selbst gönnte sie sich, das musste man ihr zugutehalten, keinerlei Luxus. Der Verdienst floss in eine gesonderte Kasse, die den Grundstock zu Karl Augusts Ausbildung stellen sollte. Sie war auch eine eifrige Briefeschreiberin und wusste Beziehungen auszunutzen. So gelang es ihr tatsächlich, über den ehemaligen Vorgesetzten ihres Mannes ihrem Sohn einen Platz an der Kadettenschule in Potsdam zu sichern.
    Sie hatte trotz aller Drohungen, die ihr das stete Studium der Bibel flüssig von den Lippen perlen ließ, nie von Karl August erfahren, warum man ihn nach zwei Jahren dieses Instituts verwies. Weder er noch die Betroffenen noch die Lehrerschaft waren bereit, das peinliche Verhältnis, das man entdeckt hatte, aus den Wänden des Schulleiterbüros sickern zu lassen. Der Zögling und der Tutor schwiegen ihren Familien zuliebe, und Karl August hielt den Mund, weil er nicht zugeben konnte, dass er mit dem erpressten Geld einen schwelgerischen Vorrat an Kakao angelegt hatte. Schweren Herzens musste seine Mutter nun zustimmen, dass er als Tagesschüler das Gymnasium in Berlin besuchte. Da er nun wieder zu Hause wohnte und nicht im Internat, wurde es schwerer für ihn, unbemerkt an Süßigkeiten zu gelangen. Doch er fand auch hier Möglichkeiten, und eine Weile versorgte ihn ein jüngerer Mitschüler mit den köstlichen Schokoladenkugeln aus der berühmten Manufaktur in Halle, den Halloren. Bis ihn dieser verdammte Julius zur Rede stellte und ihn erbärmlich verprügelte. Karl August schwor Rache, konnte aber nichts unternehmen, da er nicht schon wieder der Schule verwiesen werden wollte.
    Die restliche Schulzeit ließ er sich nichts zu Schulden kommen, obwohl die zweite, heimliche Leidenschaft allmählich ihr schleimiges Haupt hob. Noch verbotener als Naschwerk waren für ihn nämlich die Mädchen und Frauen. Und damit natürlich noch viel anziehender. Bedauerlicherweise lebte er inmitten ganzer Berge weiblicher Kleidungsstücke – halbdurchsichtige Hemdchen, seidige Negligés, spitzenbesetzte »Unaussprechliche«, Unterröcke und Strumpfbänder regten seine Phantasie geradezu schmerzhaft an.
    Es musste bei Phantasien bleiben, die Weiblichkeit schenkte ihm so gut wie keine Beachtung. Obgleich er nicht unansehnlich war, wenn man den asketischen Typ schätzte. Es war sein Benehmen, das die Mädchen abstieß.
    »Er guckt einen immer so an, als wollte er die Nähte vom Unterhemd prüfen«, hatte er einmal ein Zöfchen einem anderen ins Ohr flüstern gehört, das einen Korb voll Weißwäsche für ihre Herrschaft abholen kam.
    Sie lag damit nicht ganz falsch. Lieber aber hätte er den Sitz der Strumpfbänder oder der Unterhosen untersucht, aber dazu ließen sich diese vorlauten jungen Berlinerinnen nicht herab. Es dauerte einige Zeit, bis er lernte, dass auch hier, wie bei den Naschereien, für Geld Befriedigung zu haben war.
    Er wurde jedoch weiterhin von seiner Mutter überaus knapp gehalten, auch als er sein Studium der Rechtswissenschaften begann. Hier aber tat sich ein neues Betätigungsfeld auf.
    Die preußische Regierung, misstrauisch allen Gruppierungen gegenüber, die sich aus jungen, gebildeten Männern zusammensetzten, hatte nicht nur die Machenschaften der Turner unterbunden, sondern ein ganz besonderes Augenmerk auf die Universitäten gerichtet. Bisher standen diese Bildungshochburgen unter eigener Verwaltung und besaßen eine eigene Rechtsprechung, die in den Händen des Professorenkollegiums lag. Da man die gelehrten Herren für zu milde, möglicherweise sogar für Befürworter oder Förderer ungewünschten Ideengutes hielt, wurde ihnen staatliche Unterstützung an die Seite gegeben. Die eingesetzten Kuratoren hatten die Aufgabe, vor allem jene Studenten zu beobachten, die sich zu Burschenschaften zusammenschlossen. Zunächst waren das nur Schicksalsgemeinschaften junger Männer, die fern von zu Hause ihre heimatlichen Gebräuche pflegen wollten. Doch immer häufiger wurden in diesen

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