Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
Wiedererkennen.
    Alexander nahm es gelassen. Er hatte seine eigene Bestimmung gefunden. Die derzeit allerdings deutlich in den Hintergrund getreten war.
    Ernestine, drei Jahre jünger als er, war noch ein zimperliches Schulmädchen gewesen, als er bei dem Colonel einzog. Nun hatte sie das exklusive Internat abgeschlossen und war sich ihrer weiblichen Reize bewusst geworden. Natürlich hatte Alexander schon vor Jahren seine ersten Erfahrungen mit Frauen gemacht, doch das waren Küchenmädchen und Mägde gewesen, die unkompliziert mit ihm ins Heu gingen. Ernestine war anders – mochte sie auch lockende Blicke über ihren Fächerrand werfen, ins Heu würde sie sich nie ziehen lassen. Und doch brachte sie sein Blut mehr in Wallung als die willigen Mädchen früher. Die Unnahbarkeit, die sie ausstrahlte, erregte ihn. Die aufreizende Kleidung, die mehr durch Verhüllung als durch Offenherzigkeit bestach, machte ihn schier verrückt. Dieses feste Fischbeinmieder, das ihren jugendlich üppigen Busen umspannte, der sich unter den Dekolletees ihrer Abendkleider nach oben wölbte, übte eine unbeschreibliche Anziehung auf ihn aus. Oft stellte er sich vor, wie er ihr die weiten Ärmel von den blassen, runden Schultern strich und den Ansatz dieses köstlichen Busens berührte, um dann diese Pracht langsam und genüsslich aus dem engen Gefängnis zu befreien.
    Sie war nicht abgeneigt, ganz im Gegenteil. Ernestine schien ihn gegenüber den anderen jungen Männern zu bevorzugen. Ja, sie hatte ihm sogar heimlich im Wintergarten einen keuschen Kuss erlaubt und ihm dabei gestattet, ihre zerbrechliche, enggeschnürte Taille zu umfassen. Doch dann entzog sie sich ihm wieder, kokettierte nur mit Blicken oder versteckten Andeutungen mit ihm. Sie trieb ihn in den Wahnsinn damit. Er ging so weit, dass er für sie ein erschreckend schlechtes Gedicht verfasst und es ihr in einem Blumenstrauß überreicht hatte.
    Hätte Alexander die weibliche Natur genauso intensiv studiert wie die Maschinen, würde er bemerkt haben, dass er in einen überaus durchdachten und geplanten Prozess eingebunden wurde. So aber machte es ihn nicht stutzig, wenn Lady Dettering in seiner Gegenwart die eine oder andere Bemerkung über die hübsche Mitgift fallen ließ, die Ernestine erwartete. Er hätte auch Victorias geflüsterte Indiskretionen als Warnung aufgefasst, der Vicomte of Rotherham habe ihrer Schwester einen Antrag gemacht. Stattdessen ergriff ihn glühende Eifersucht bei dem Gedanken, die spinnengleichen Finger des ältlichen Beaus könnten sich an den warmen Rundungen seiner Angebeteten zu schaffen machen. Auch das vertrauliche Gespräch von Mann zu Mann mit Sir Nikolaus, der ihm zart auf den Zahn fühlte, wie er sich denn seine Zukunft vorstelle, hatte ihn nicht auf die richtige Spur gebracht. Hätte er gewusst, dass Ernestine, zwar errötend, aber durchaus gefasst seine ungelenken Zeilen gelesen hatte, dann aber spornstreichs zu ihrer Mama gelaufen war, um sie ihr vorzulegen, und dass diese stürmisch gereimten Worte beiden Damen zu den schönsten Hoffnungen Anlass gaben, er wäre vorsichtiger gewesen. So aber hatte er am Abend noch die heimlichen Freizügigkeiten im Wintergarten genossen und in seiner Begierde von Liebe gestammelt.
     
    Die Falle wäre zugeschnappt, hätte das Geschick nicht auch hier mit einem Flügelschlag seinem Leben eine neue Wendung gegeben. Diesen Flügelschlag teilte ebenfalls ein Schmetterling aus, jedoch einer in der wohlgeratenen Gestalt einer kleinen Tänzerin, in deren flatterhaften Spielereien sich der Dolmetscher verfing, der die preußischen Besucher der Maschinenfabrik bei den Verhandlungen unterstützen sollte. Er verschlief an jenem Morgen in ihren Armen, und als er mit brummendem Kopf erwachte, hatte das Schicksal bereits seinen Lauf genommen.
    Herr Egells und seine Begleiter saßen also etwas peinlich berührt im Büro des Unternehmers und rangen mit der ihnen fremden Sprache, bis der leitende Ingenieur den segensreichen Vorschlag machte, den jungen Masters hinzuzuziehen, der seines Wissens der preußischen Zunge einigermaßen mächtig war. Obwohl der Fabrikant gewisse Bedenken äußerte – er wollte bei derartigen Geschäftsbesprechungen Personal aus den unteren Chargen nicht dabeiwissen -, musste er sich angesichts der Sprachlosigkeit seiner Besucher diesem Vorschlag beugen. Die Herren hatten nämlich ihr Interesse am Kauf mehrerer Dampfmaschinen bekundet, was angesichts des britischen Vorsprungs auf dem

Weitere Kostenlose Bücher