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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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gemacht. Das stimmt. Doch, Junge, ist es wirklich so wichtig für dich, dass du alle Brücken hinter dir verbrennen musst?«
    »Meinen Arbeitsvertrag habe ich ordnungsgemäß gekündigt, Sir. In dem Schreiben verzichte ich natürlich auf das ausstehende Gehalt.«
    »Natürlich. Egells übernimmt vermutlich den Ausgleich.«
    »Ich denke schon.«
    Wieder schwieg Sir Nikolaus, und Alexander begann, sich tatsächlich schäbig zu fühlen.
    »Sir, Sie und Ihre Familie sind sehr großzügig gewesen. Wenn Ihnen etwas einfällt, was ich zukünftig für Sie tun kann, scheuen Sie sich nicht, mich zu verständigen.«
    »Vielleicht.« Der Colonel erhob sich und ging einige Schritte auf und ab. »Ich hoffe, es wird dir im Laufe der Zeit klar, welche Opfer man seinen Zielen im Leben bringen muss. Ich kann dich nicht halten, so geh mit Gott. Möglicherweise findest du in Berlin sogar deine Wurzeln. Aber bitte pack deine Sachen in aller Stille und verlasse schon heute das Haus. Ich erkläre den anderen dein Fortgehen.«
    Pikiert verabschiedete Alexander sich und tat, wie ihm geheißen. Die Nacht verbrachte er im Hotel, in dem auch die Preußen untergekommen waren, und zwei Tage später war er auf dem Weg nach Berlin. Seine Begleiter wunderten sich zwar über seine mürrische Laune, vermuteten aber, ihm mache die Trennung zu schaffen.
    Das tat sie auch, aber er zog es vor, einen Groll gegen Sir Nikolaus zu hegen, der ihn quasi aus dem Haus geworfen hatte. Das war einfacher, als den leisen Stimmen seines Gewissens zu lauschen.

Geheime Leidenschaften
    Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
verklärt in ew’gen Wonnen.
    Heinrich Heine
     
     
    Drei Leidenschaften prägten das Leben von Karl August Kantholz – zwei heimliche und eine politisch höchst geschätzte. Letztere wurde durch den allgemeinen Wunsch nach Ruhe und bürgerlicher Ordnung unterstützt und durch eine Regierung, die ängstlich jegliche Störung des behaglichen Gleichgewichts aufmerksam beobachtete. Um frühzeitig gegen mögliche radikale Strömungen vorzugehen, war die geheime Polizei gegründet worden, die ein strenges Auge auf die Untertanen hielt und ein offenes Ohr für alle Spitzeldienste hatte. Karl August, selbst hochgradig darauf bedacht, seine heimlichen Neigungen vor aller Welt und im Besonderen vor seiner Mutter verborgen zu halten, hatte schon in jungen Jahren ein beachtliches Talent darin entwickelt, im Leben anderer herumzuschnüffeln. Dabei half ihm seine Erziehung, denn es waren ihm eindeutige Werte mitgegeben worden, und so wusste er genau, was richtig und was falsch war.
    Seine Mutter, die dem calvinistischen Glauben nahestand, hatte als spätes Mädchen einen der Heimkehrer aus der jämmerlichen Niederlage von Jena geehelicht. Der Unteroffizier, verwundet und krank, habe nicht die Kraft besessen, sich seiner zielstrebigen Pflegerin zu widersetzen, munkelte man. Als er einigermaßen genesen war, heiratete er sie, nahm die Stelle eines Polizeibüttels an und zeugte seinen Sohn. Bald danach verließ er das irdische Jammertal, und seine Gattin verschloss rigoros die Augen davor, dass er sich zu Tode gesoffen hatte. Dafür entwickelte sie den festen Willen, seinen Sohn auf den rechten Weg zu führen, und ahndete jede Abweichung vom Pfad der Tugend. Ihr herber Glaube half ihr dabei. In der festen Überzeugung, nur einige Erwählte würden dereinst der Gnade Gottes teilhaftig werden und alle anderen hätten sich tunlichst den Geboten zu beugen, um Schadensbegrenzung auf Erden zu betreiben, erzog sie Karl August mit gnadenloser Strenge. Dass sie sich selbst zu den Erwählten zählte, betonte sie, bescheiden wie sie war, dabei jedoch nie.
    Sie lobte Karl August natürlich nicht, wenn er mit den Ergebnissen seiner Schnüffeleien zu ihr kam. Aber er spürte ihre Genugtuung, wenn sie mit ihren Erkenntnissen zu den Behörden ging, um die Nachbarn zu denunzieren. Daraus zog er eine gewisse Befriedigung.
    Eine noch größere Befriedigung zog er aus dem Genuss von Süßigkeiten, insbesondere wenn sie mit Kakao gewürzt waren. Naschereien jedoch waren ihm striktestens untersagt, also musste er heimlich seiner Begierde frönen. Da er auch selten Geld in die Finger bekam, fand er den praktischen Ausweg, sein erschnüffeltes Wissen in klingende Münze zu verwandeln.
    Sie lebten nicht in wirklich ärmlichen Verhältnissen. Seine Mutter, eine gelernte Weißnäherin, hatte nach dem Tod ihres Mannes diese

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