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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nahm er eine Woche später die Order entgegen, nach Potsdam zu reisen. Hier wollte der Zuckerfabrikant Ludwig Jakobs über die Möglichkeit beraten werden, die Maschinen in seiner Fabrik durch eine Dampfmaschine antreiben zu lassen. Die Garnisonsstadt mit ihren Schlössern, Parks und Kanälen hatte Alexander schon häufiger besucht. Die Gegend an der Alten Fahrt hingegen war ihm neu. Trutzig, im Stil einer normannischen Burg gebaut, beherrschte die Jakobs’sche Zuckersiederei das Ufer. Dahinter standen die hohen Mietshäuser mit ihren Hinterhöfen – die Quartiere der Arbeiter. Einen Moment lang erinnerte ihn diese Umgebung an seine Zeit in den Londoner Arbeitervierteln, obwohl das Städtchen weit kleiner und erheblich gepflegter wirkte. Er schüttelte die unliebsamen Gefühle ab und widmete sich seiner Arbeit. Der Unternehmer hörte sich seine Fragen und Vorschläge an und bot ihm dann einen Rundgang durch die Fabrikhallen an. Einer der Vorarbeiter wurde abkommandiert, ihm die Arbeitsprozesse zu erläutern.
    Es war nicht so laut wie in der Weberei, doch auch hier war die Luft feucht, stickig und warm, der süßliche Geruch der kochenden Melasse beinahe Übelkeit erregend. Inzwischen hatte sich die Marktlage wieder gewandelt, Rohrzucker war teurer geworden, und es lohnte sich, in großen Betrieben aus den heimischen Rüben Zucker zu gewinnen. In Bottichen wurden die Knollen gewaschen, an langen Tischen zerteilt, die Schnitzel in Säcke gefüllt und dann aus ihnen in einer von zwei Arbeitern bedienten Schraubenpresse der Saft herausgedrückt. Dieser Saft kochte in großen Kesseln immer weiter ein, bis kristalliner Zucker entstand. Rührwerke, notierte sich Alexander, Schnitzelwerke, vor allem aber die Presse konnten mit Maschinenkraft angetrieben werden. Die räumliche Aufteilung musste geändert, ein Maschinenhaus angelegt werden. Aber schon jetzt war die Fabrik gut durchdacht, Jakobs Vorstellung würde realisierbar sein. Alexander schickte den Vorarbeiter weg, um sich in Ruhe die Arbeitsprozesse anzuschauen. Er registrierte, dass auch hier eine ganze Reihe Frauen und Mädchen arbeiteten. Es waren überwiegend stumpfsinnige Tätigkeiten, die sie zu verrichten hatten. Eine Schwangere fiel ihm auf, die sich an der Presse abmühte. Kopfschüttelnd notierte er sich ebenfalls, Jakobs von der Investition einer der neuen Hydraulikpressen zu überzeugen, die mit weit geringerem Kraftaufwand zu betreiben waren.
    Gerade als er seine Notiz beendet hatte, stolperte die Schwangere und brach in die Knie.
    »Mama!«, rief ein junges Mädchen und warf das Messer hin, mit dem sie die harten Rüben zerteilte. Der Vorarbeiter donnerte sie an, sofort wieder ihren Platz einzunehmen, aber sie hörte nicht auf den Befehl. Sonst jedoch kümmerte sich niemand um die Frau, die sich auf dem von Zuckersaft klebrigen, schmutzstarrenden Boden vor Schmerzen krümmte.
    »Lassen Sie das Mädchen«, sagte Alexander zu dem Vorarbeiter und ging mit langen Schritten zur Presse. »Was ist passiert?«
    »Meine Mutter! Ich fürchte... eine Fehlgeburt.« Ein blasses, ängstliches Gesicht sah zu ihm auf. »Sie hatte schon heute Morgen Schmerzen.«
    »Amara, bitte...!«, stöhnte die Frau.
    »Kann ihr jemand helfen?«
    Bitter kam es zurück: »Von denen hier hilft uns niemand.«
    Alexander verstand. Das Mädchen drückte sich weit gepflegter aus als die üblichen Berliner Arbeiter, die er bisher kennengelernt hatte. Noch einmal kam die Erinnerung an seine harte Zeit in der Weberei in ihm hoch.
    »Wo wohnt ihr?«
    »Hinter der Fabrik, nicht weit von hier, gnädiger Herr. Aber ich kann sie nicht alleine dort hinbringen.«
    »Ich kümmere mich darum«, entgegnete Alexander kurz und forderte den Vorarbeiter auf, ihm eine Decke zu bringen. Der murrte zwar, gehorchte aber bei dem energisch wiederholten Befehl. Es gelang Alexander, die leise ächzende Schwangere mit Unterstützung des Mädchens in seinen Einspänner zu verfrachten und die wenigen Schritte zu deren Wohnung zu bringen.
    »Kommst du alleine zurecht, Mädchen?«, fragte er, als sie ihre Mutter auf das schmale Bett gelegt hatten.
    »Ja, gnädiger Herr. Wird schon gehen. Danke auch, gnädiger Herr.«
    Alexander sah sich um. Die beiden bewohnten ein dunkles, feuchtes Zimmerchen in einem gerade erst erbauten Mietshaus. Es ging auf einen düsteren Hinterhof hinaus, in dem sich in den Ecken schon der Unrat häufte. Schaudernd wandte er sich zur Tür und nickte den beiden nur noch einmal kurz zu.
    Dieses

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