Göttertrank
ersparen Sie mir Ihr Kauderwelsch«, grollte de Haye dazwischen.
»Verzeihung, ja, das passiert einem so schnell. Erklären Sie unserem Globetrotter das Geheimnis der Alkaloide, Doktor Jantzen.«
Nichts lieber als das tat Jan Martin. Es war sicheres Gebiet, viel sicherer als gesellschaftliche Konversation.
»Al qualja bedeutet Pflanzenasche, und darum geht es dabei. Manche Pflanzen, wie beispielsweise Schlafmohn oder die Herbstzeitlose, haben eine starke Wirkung auf den Organismus. Von Rauschzuständen bis zum Herzrasen oder Tod durch Vergiftung. Man will heute in der Wissenschaft nicht einfach hinnehmen, dass es so ist, sondern wissen, was in diesen Pflanzen genau diese Wirkung verursacht, und darum zerlegt man sie auf chemischem Weg in ihre Bestandteile. Die Extraktion...«
»Ersparen Sie dem Laien Einzelheiten, Herr Kollege, unser Freund bekommt schon einen glasigen Blick«, mahnte der Schiffsarzt, und Jan Martin fasste sich – seiner Meinung nach – kurz.
»Also, einige Apotheker, Botaniker und Chemiker haben aus Pflanzen Stoffe extrahiert, meistens sehr bittere, in Wasser lösliche Salze: die eigentlichen pflanzlichen Wirkstoffe – im Opium des Schlafmohns das Narcotin, in der Brechwurz das Emetin, im Tabak das Nicotin, im Kaffee natürlich das Coffein, in der Brechnuss das hochgiftige Strychnin...«
»Ah, Brechnuss, ja, das kenne ich«, fiel de Haye ein. »Ein gefährliches Zeug. Hab einige Samen davon in Afrika aufgeklaubt und meiner Sammlung hinzugefügt. Mein Neffe, ein helles Köpfchen, so wie Sie, hat damit Ratten vergiftet. Sehr wirkungsvoll.«
»Er sollte lieber die Finger davon lassen.«
»Hab ich ihm auch geraten – und wie würden Sie auf eine solche Warnung reagieren, junger Doktor?«
Jan Martin grinste. »Ich würde die Brechnuss besonders genau untersuchen.«
Doktor Klüver nickte. »Ich wusste nicht, dass man schon so viele Alkaloide identifiziert hat. Erstaunlich. Sie sind sozusagen die Quintessenz einer Pflanze, stimmen Sie mir da zu, Herr Kollege?«
»So könnte man es beschreiben.«
»Und was haben Sie im Zusammenhang mit dem Coffein bei Ihren Untersuchungen herausgefunden, Doktor Jantzen?«, wollte de Haye nun wissen.
Der Schnellbeschuss mit Fragen erheiterte Jan Martin allmählich, und so gab er mit dozierender Stimme von sich: »Nach zahllosen, aufopferungsvollen Selbstversuchen, verehrte Herren, konnte ich wissenschaftlich nachweisen, dass eine Tasse guten Kaffees am Morgen die Müdigkeit vertreibt.« Seine Zuhörer lachten auf, und er wurde so mutig hinzuzufügen: »Doch reines Coffein wirkt in einer Dosis von über fünf Gramm letal. Das habe ich aber nicht im Selbstversuch getestet.«
»Na, Gott sei Dank. Und jetzt schlage ich vor, wir prüfen das Ergebnis Ihrer Untersuchungen empirisch in der Messe.«
Jan Martin schloss sich den beiden Männern an, und in der Offiziersmesse, bei einem ausgezeichneten Kaffee, lief das Gespräch munter weiter. Es endete damit, dass Doktor Klüver ihn fragte, ob er ihm während der Überfahrt assistieren wolle, um praktische medizinische Erfahrungen in der marinen Medizin zu gewinnen.
»Sie werden sehen, hier auf dem Schiff läuft manches anders ab als in einer Landpraxis oder gar in einem Klinikum.«
»Gerne, Doktor Klüver. Rufen Sie mich nur, wenn ich Ihnen zur Hand gehen soll. Mit Nadel und Faden bin ich nicht ungeschickt.«
Seine ärztlichen Fähigkeiten kamen zwei Tage später zum ersten Einsatz.
Das Wetter war prächtig, zumindest empfand eine Landratte wie Jan Martin es so. Die Seeleute sprachen indes von Flaute. Es war sonnig und fast windstill, und um sich die Zeit zu vertreiben, hatten drei Matrosen ein Beiboot zu Wasser gelassen. Einer von ihnen demonstrierte sein Können mit der Harpune. Breitbeinig stand er auf der schwankenden Jolle und zielte mit dem Fischspeer auf etwas, was Jan Martin nur als irgendwas Silbriges ausmachen konnte.
Es war ein ausgewachsener Kabeljau, den die drei mit ihrer ganzen Kraft am Tauende hielten. Der Koch, der neben Jan Martin stand und dem Geschehen ebenfalls zusah, grunzte zufrieden: »Kein schlechter Fang.«
Als der Fisch an Bord war, musste Jan Martin ihm zustimmen. Beinahe größer als ein Mann war das voll ausgewachsene Tier und noch immer ziemlich lebendig. Es fegte mit dem Schwanz hin und her und wehrte sich heftig gegen sein Schicksal in der Kombüse. Weshalb der Matrose, der die Harpune aus dem Rücken des Fischs ziehen wollte, einen derben Schlag erhielt, bei dem ihm der
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