Göttertrank
glänzend gebürstet und über den blauen Samtmantel gebreitet, eine goldene Krone auf dem Kopf getragen und wahrhaftig wie die Madonna ausgesehen.
Allerdings hatte irgendeines der grässlichen Mädchen, vermutlich waren es sogar mehrere, ihr in die Schokolade, die sie vor Beginn der Aufführung getrunken hatte, ein Brechmittel gegeben.
Es war eine grauenvolle Blamage.
Schnell wühlte sich Dotty durch die Dosen und Glasbehälter. Wunderbaum? Rizinusöl? Vielleicht. Oder besser noch Brechnuss. Vorsichtig öffnete sie das Gläschen und holte einige der flachen, braunen Kerne heraus. Es würde vermutlich reichen, sie wie Muskatnuss zu reiben, und damit diesen blöden Hühnern zu passender Gelegenheit das Essen zu würzen.
Sie kam nicht mehr dazu, denn nach Ostern brauchte sie nicht mehr in das Pensionat in Magdeburg zurückzukehren. Ihr großzügiger Onkel hatte dafür gesorgt, dass sie das letzte Jahr an einem weit vornehmeren Institut in Berlin verbringen durfte.
ZWEITER TEIL
Die Bitternis
Ein Trank für die Götter
Vor jeder Zeitrechnung, Mexiko
Nimm deine Schokolade,
Blume des Kakaobaumes,
und trinke sie ganz, wenn du kannst.
Lied von Nezahualcoyotl
Sie hatten genug zu essen, der Fluss war reich an Fischen, an den Gräsern reiften die Körner, aus dem Boden gruben sie essbare Knollen, vor allem aber der Wald versorgte sie mit köstlichen Früchten. Zwei Frauen aus der kleinen Ansiedlung wanderten mit den geflochtenen Tragkörben über die ausgetretenen Wege zurück an ihre Herdstätten. Unter anderem hatten sie einige der goldenen Früchte des Baumes, den sie kakawa nannten, aufgesammelt, deren Fruchtfleisch sie zu einem vergorenen Getränk verarbeiten wollten. Die bitteren Kerne entfernten sie dabei sorgfältig und warfen sie fort.
Wie der Zufall es wollte – und der Zufall will oft seltsame Dinge -, blieben einige dieser bohnenförmigen Kerne irgendwann am glosenden Herdfeuer liegen, und eines Morgens schnüffelte die erste Frühaufsteherin verdutzt. Es roch wunderbar aromatisch. Was gut riecht, schmeckt auch gut, war eine frühe Erkenntnis. Also nahm die Frau eine der gerösteten Bohnen auf. Dabei löste sich die dünne Schale und bröckelte ab. Den Kern steckte sie vorsichtig in den Mund und biss darauf.
Bitter war er zwar noch, aber lange nicht so wie die rohen Samen der Frucht. Ja, es war ein durchaus angenehmer Geschmack. Mutig hob sie einige der Bohnen auf und zerstampfte
sie zusammen mit den Körnern, die den üblichen Morgenbrei bildeten.
Es war ein großer Erfolg in ihrer Familie, zumal der dickflüssige, heiße Trunk überaus belebend wirkte.
Das Geheimnis um die gerösteten Bohnen breitete sich schnell unter der Bevölkerung aus, und schon bald bekam das daraus zubereitete Getränk den Namen cacahuatl – Kakaowasser. Und wie das so ist, verloren sich die Namen der glücklichen Erfinderinnen im Dunkel der Mythen, und die Menschen schrieben die Kenntnis über die Kakaozubereitung einem göttlichen Wesen zu. Hunahpúh sollte derjenige gewesen sein, der den Sterblichen das geheime Wissen um die Köstlichkeit der gerösteten Samen verriet. Und was von Gott kommt, muss auch dem Gott wieder geopfert werden.
Besonders sorgfältig bereiteten die Priester die Speise für die Götter zu, die von Region zu Region andere Namen trugen. Aber alle, gleich wie sie gerufen wurden, liebten den bitteren, fettschaumigen Göttertrank.
Wind und Wellen
Adieu, adieu! my native shore
Fades o’er the waters blue;
The Night-winds sigh, the breakers roar,
And shrieks the wild seamew.
Childe Harolds Pilgrimage, Byron
Der frischgebackene Doktor Jan Martin Jantzen stand an der Reling der Annabelle, eines prächtigen, voll aufgetakelten Viermasters, und ließ sich die salzige Brise um den Bart wehen. Ein sehr junger Doktor war er und noch immer so schüchtern wie als Junge. Genauso dicklich war er auch, aber sein Gesicht bedeckte inzwischen ein lockiger, weicher blonder Bart, unter dem er die hartnäckigen Pusteln versteckte. Die Reise über den Atlantik hatte ihm sein Vater zur bestandenen Promotion geschenkt, und mit der Vorfreude eines geborenen Forschers hatte er diese Gabe angenommen. Nun war er auf dem Weg nach Venezuela, wo ein Großonkel von ihm eine Hacienda betrieb.
Das Schiff hatte Fracht geladen, aber es waren auch einige Passagiere an Bord. Einer von ihnen schlenderte jetzt herbei und stellte sich neben Jan Martin, beschattete seine Augen mit der Hand und sah auf das glitzernde
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