Göttertrank
Meer hinaus.
»Eine angenehme Zeit zum Reisen«, bemerkte er. »Ich denke, wir können mit einer ruhigen Überfahrt rechnen.«
Es wäre ausgesprochen unhöflich gewesen, einfach fortzugehen, obwohl Jan Martin diesem Drang gerne nachgegeben hätte. Aber dann fiel sein Blick auf den Mann, und irgendwie kam er ihm plötzlich bekannt vor. Er räusperte sich und antwortete: »Ich hoffe es. Es ist meine erste Seereise.«
Der andere lächelte ihm zu. »Wie alles, was man zum ersten Mal erlebt, eine besonders einprägsame Erfahrung. Aber auch wenn ich schon etliche Reisen hinter mir habe, so ist doch der Beginn einer jeden noch immer aufregend. Man weiß nie, was einen erwartet, nicht wahr?«
»Sie sind häufig unterwegs? Verzeihen Sie, dass ich so aufdringlich bin, aber Sie kommen mir irgendwie bekannt vor, mein Herr.«
Der Mann betrachtete ihn jetzt intensiver und schüttelte dann den Kopf. »In Bremen war ich vor gut dreizehn Jahren das letzte Mal. Lothar de Haye, zu Ihren Diensten.«
»Jan Martin Jantzen. Mein Vater ist Kolonialkaufmann.«
»Gott im Himmel, ja, der kleine Junge, den wir aus dem Kakao gezogen haben.« De Haye lachte fröhlich auf und streckte Jan Martin die Hand entgegen. »Da sind wir alte Bekannte!«
Noch immer zurückhaltend, nahm Jan Martin die Hand und schüttelte sie. »Ja, Sie und der rotbärtige Tallymann haben mich dummen Jungen gerettet. Ich habe nie die Möglichkeit gefunden, mich dafür zu bedanken.«
»Ihr Vater tat es in gebührender Form, aber ich musste noch am selben Tag weiterreisen. Wie ist es Ihnen ergangen, junger Mann? Irgendwie erinnere ich mich daran, wie Sie selbst mit üblen Brandwunden im Gesicht noch wissen wollten, warum sich der Kakao entzündet hat. Es beeindruckte mich damals.«
»Wissbegierig war ich schon immer.« Jan Martin taute langsam auf und wagte ein Lächeln. »Ich frönte dieser Leidenschaft bis vor einem Monat ausgiebig und soll mich nun auf eine Erholungsreise begeben. Aber ich weiß nicht...«
»Sie werden gewiss etwas zu erforschen finden. Zumindest wird in Venezuela Kakao angebaut. Oder haben Sie das Rätsel schon gelöst?«
»Die Frage der Selbstentzündung habe ich schon bald beantworten können, aber mehr nicht. Kakaobohnen standen während des Studiums nicht auf dem Lehrplan, aber vielleicht ergibt sich in Venezuela wirklich eine Möglichkeit, weitere Untersuchungen anzustellen. Obwohl ich glaube, Onkel Diederich züchtet auf seiner Hacienda Vieh und baut wahrscheinlich eher Mais als Kakao an.«
»Sie haben also studiert?«
»Botanik und Medizin. In Bonn.«
»Also Doktor Jantzen, was?«
»Na ja.« Verlegen strich sich Jan Martin den Bart.
»Eine beachtliche Leistung. Sie können doch nicht viel älter als Mitte zwanzig sein.«
»Vierundzwanzig. Wissen Sie, ich... mhm, ich konnte mich für die studentische Geselligkeit nicht sehr erwärmen.« Und mit einem Aufblitzen von Selbstironie fügte er hinzu: »Darum habe ich eben schneller gelernt. Man überreichte mir eines Tages die Krone der Streber.«
»Nicht jeder ist für Kommers und Paukboden geeignet. Machen Sie sich nichts daraus. Ich bin auch eher ein Einzelgänger. Ah, und da kommt jemand, den Sie dennoch kennenlernen müssen!«
De Haye winkte einem unscheinbaren, in zerknittertes Leinen gekleideten Mann zu. »Kommen Sie her, Doktor Klüver, und lernen Sie Ihren jungen Kollegen kennen!«
»Einen Kollegen – Neptun ist mir gnädig. Einen Kollegen zum Fachsimpeln? Einen verständigen Menschen, der eine appendix vermiformis von einem geranium argentum zu unterscheiden weiß?«
»Zumindest ein bellis perennis von der philosophia perennis!«
»Nicht nur Neptun, sondern alle Nereiden, Poseidon und der Klabautermann. An meine Brust, Junge! Sie sind Jantzens Wunderknabe. Der Kapitän hat mir schon gesagt, Sie seien mit von der Partie. Aber nicht, dass Sie den hohen Stand der Doktorwürde bekleiden.«
»Sie ist auch noch ganz neu, und der würdige Talar fühlt sich noch ein wenig steif an.«
»Kommt schon noch, kommt schon noch. Worüber haben Sie geschrieben?«
Die unverfrorene Neugier, die unkomplizierte Art und die Herzlichkeit des Schiffsarztes machten es Jan Martin unmöglich, schüchtern zu bleiben.
»Oh, über die therapeutische Wirkung des Coffeins.«
»Donnerwetter. Haben Sie es selbst extrahiert? Ich las neulich von Runges Versuchen. Interessant, diese Theorie über die Alkaloide.«
»Wenn ich Sie nicht über die Reling schubsen soll, meine Herren Medizinalräte, dann
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