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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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verstört nach dem Tod meiner Mutter und dem vollständigen finanziellen Ruin, war ich wochenlang wie gelähmt gewesen, nachdem Alexander Masters mich bei Madame Galinowa abgeliefert hatte. Sie ließ mich in Ruhe trauern, ihre Tochter hingegen, damals vierzehn, war viel zu begierig, eine neue Freundschaft zu schließen, und ließ nichts unversucht, mich aus meiner dunklen Wolke zu locken.
    »Du musst mir sagen, wie du zu diesem hübschen Namen gekommen bist«, hatte sie gesagt und war mit einer Tasse stark gesüßtem Tee zu mir ans Bett getreten. »Und dann musst du mir erlauben, dir die Haare zu bürsten. Aber zuerst trinkst du den Tee.«
    Erst wollte ich sie fortschicken, aber da baute sich die Kleine wie ein Feldwebel vor mir auf und donnerte: »Nehmse Haltung an, wenn ick mit Ihnen spreche!«
    »Geht es auch etwas leiser?«
    »Nur, wenn du diesen guten Tee trinkst, mein liebes Seelchen«, flötete Melisande mit gespitzten Lippen.
    Der Wechsel zwischen militärischem und mütterlichem Ton war zu viel für mich. Ich musste einfach lächeln. Dann trank ich den Tee und beantwortete ihre Frage.
    »Meine Mutter hat mich nach ihrer Großmutter benannt. Die hieß Annamaria, wurde aber von ihrem Mann nur Amara gerufen. Mama hat sie sehr geliebt.« Die Kehle wurde mir eng, als ich das sagte.
    »Na, na, na. Hier ist ein frisches Taschentuch. Ein so hübscher Name. Amara.« Sie ließ die Silben genüsslich über die Zunge rollen. »Amarrrra!« Es klang wie ein langgezogenes Schnurren. Dann richtete sie sich auf und meinte: »Melisande ist ja auch ganz nett, aber wer mich liebt, sagt Melli zu mir. Hast du mich lieb, Amara?«
    Große, dunkle Augen sahen mich bittend an, und ich nickte, obwohl ich das Mädchen noch gar nicht kannte. Doch sie strahlte einen Zauber aus, dem man sich nicht entziehen konnte. Ihre quecksilbrige Art, ihre bewegliche Miene und ihre überströmende Herzlichkeit, die sie mit ihrer Mutter gemein hatte, machten sie unwiderstehlich.
    »Ja, ich mag dich, Melli.«
    »Dann wollen wir Freundinnen werden?«
    »Ja.« Und resignierend fügte ich hinzu: »Mir wird schließlich gar nichts anderes übrig bleiben.«
    »Ganz richtig. Hier ist die Haarbürste. Ich werde jetzt zu Ihrem Zöfchen, gnädige Frau.«
    Freundinnen waren wir geworden – und Vertraute in so vielen Dingen, die mir bisher gefehlt hatten.
     
    Inzwischen war Melisande zu einem Trinklied derberer Art übergegangen und schüttete die erste Ladung Kakaobohnen in die Vorratsdose. Ich fischte eine Portion heraus, um sie weiter zu verarbeiten. Heiße Schokolade auszuschenken, war eine der Veränderungen, die auf meine Anregung hin eingeführt worden waren. Angefangen hatte es mit dem Streuselkuchen, kurz nachdem Melli mich aus dem Bett gescheucht und in die Küche gejagt hatte.
    »Madame Galinowa, der Kuchen ist eine Zumutung.«
    »Er wird gegessen.«
    »Ich könnte einen besseren backen.«
    »Der würde teurer.«
    »Sie könnten ihn auch teurer verkaufen.«
    »Wie viel?«
    Mochte Nadina Galinowas Herz auch so groß wie die Weiten Russlands sein, ihren Laden führte sie streng nach der Regel: »Eine Kopeke hält den Rubel beisammen.« Ich verstand das sehr gut, es war mir bei Weitem lieber als die lässige Art, mit der Fritz sein Gewerbe betrieben hatte. Also schrieb ich am Abend die einzelnen Posten auf. Statt billigen Talg setzte ich Butter ein, statt Sirup Zucker, fügte noch einige Gewürze dazu, erhöhte die Anzahl der Eier und stellte die entsprechenden Preise daneben.
    Madame Galinowa studierte die Berechnung, dann nickte sie.
    »Wir probieren, wir rechnen, dann sehen wir weiter!«
    Ich produzierte ein paar Bleche Streuselkuchen, Melisande bot ihn auf ihre überschwängliche Art an, und am Abend war kein Krümel mehr übrig. Wir rechneten den Verdienst zusammen, und ab diesem Tag war ich für den Kuchen zuständig. Mit Butter und allen Eiern, die ich für notwendig hielt. Dann kam die Idee mit den Rosinenwecken, die reißenden Absatz fanden, dem Apfelkuchen und den Waffeln. Einfaches, preiswertes Gebäck, das sich Studenten und kinderreiche Familien leisten konnten, die die Mehrzahl der Ausflugsgäste stellten. Und schließlich machte ich den Vorschlag: »Madame Galinowa, Sie sollten neben Kaffee auch heiße Schokolade ausschenken.«
    »Zu teuer. Kakao trinken nur die Reichen.«
    »Nicht, wenn wir die Bohnen selbst rösten und zubereiten. Ich kann das.«
    »Mhm.«
    »Wir können Schokolade mit gutem Gewinn verkaufen.«
    »Wir rechnen, wir

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