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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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gelassen.
     
    Ich machte mich leise für die Nacht zurecht, um Melli nicht zu stören, die in dem zweiten Bett im Zimmer bereits fest schlief. Ja, ich hatte meine fröhliche Freundin wirklich liebgewonnen.
    Überhaupt hatte sich mein Leben gründlich verändert. Wie so oft dankte ich im Stillen jenem Alexander Masters, der dieses Wunder bewirkt hatte. Ohne ihn wäre ich nie zu Madame Galinowa gekommen. Dadurch, dass er mich zu ihr brachte, hatte ich einen unsichtbaren Kerker verlassen. Meine Mutter hatte mir von klein auf eingeprägt, ich müsse mich Höhergestellten gegenüber immer respektvoll und botmäßig verhalten. Das war mir auch im Haushalt der Massows nicht schwergefallen, denn Lady Henrietta gegenüber empfand ich aufrichtigen Respekt. Den Grafen hatte ich ein bisschen gefürchtet und sehr bewundert. Und Julius hatte ich sogar auf meine kindliche Art geliebt. Ich lächelte bei der Erinnerung an den Grafensohn. Aber später forderte man respektvolles Verhalten, auch Fremden und unerzogenen oder launischen Personen gegenüber, von mir. In der Gesindeschule verlangten sie Beherrschung und unterwürfiges Benehmen, und Fritz stellte mich damit oft genug auf die Probe. In der Fabrik herrschte widerspruchsloser Gehorsam, und mein inneres Aufbegehren hatte mehr als einmal die Maske der Fügsamkeit zum Bröckeln gebracht. Sie nannten mich renitent. Hier aber, in der Gartenwirtschaft, verkehrten die Studenten mit ihren leichtlebigen Sitten, kleinbürgerliche Familien mit ihren Kindern veranstalteten fröhliche Ausflüge, junge Offiziere schäkerten mit Näherinnen und Blumenmädchen. Melisande und ich wurden als filia hospitalis besungen, und statt devotem Auftreten schätzten die Gäste von uns eine schlagfertige Antwort, einen schnellen Witz, einen treffsicheren Kommentar. Zunächst hatte ich meine Freundin um ihre sprühende Lebensfreude beneidet, aber inzwischen half mir mein versteckter Sinn für Lächerlichkeiten und mein wachsendes Selbstvertrauen, ebenso leichtherzig zu scherzen und zu tändeln, wenn auch mit einer verhalteneren Heiterkeit als Melli.
    Lächelnd zog ich der Schlummernden die Decke zurecht und strich ihr zart über die Wange.
    In diesem Moment ließ ein Donnerschlag das Haus erbeben.
    Und dann roch es nach Rauch.
    »Melli!«
    Verstört sahen wir beide uns an. Dann keuchte ich: »Das Salz! Raus hier!«
    Doch als wir die Zimmertür öffnete, quoll uns schwarzer Qualm entgegen.
    »Aus dem Fenster!«
    Melli warf Kissen, Decken und Kleider aus dem Fenster und zwängte sich durch die Öffnung. Ich hörte ihren Schmerzensschrei, als sie unten landete, aber auch mir blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls zu springen. Die Flammen fraßen sich schon von unten durch die Holzdielen des Bodens. Drei Meter tief fiel ich, schlug mir Knie und Ellenbogen auf, landete zum Glück im Kräuterbeet auf den Decken und kroch, so schnell es ging, aus der Reichweite des Hauses. Murzik schoss wie ein von der Sehne gelassener Pfeil an mir vorbei, Nadina Galinowa kam hustend aus der Hintertür, den einbeinigen Sascha stützend. Hinter ihr trottete Lena und schniefte.
    Prasselnd kroch das Feuer durch das Küchenfenster. Das alte Fachwerkhaus mit seinen Holzbalken und -decken war leichte Beute für die Flammen. Fassungslos starrten wir auf das Inferno, das sich vor uns entfaltete. Auch die Nachbarn waren herausgekommen und blieben stumm, fast ehrfürchtig in ihrer Betrachtung des Unglücks stehen. Keiner griff nach einem Eimer, niemand holte Wasser. Es hätte nicht viel geholfen, löschen zu wollen. Schon entzündeten die Funken die Terrasse, flogen die ersten Schindeln vom Dach.
    »Fort hier. Das bricht gleich zusammen!«, warnte uns ein Mann und half mir, weil ich nur humpeln konnte, aus der Gefahrenzone. Melli folgte, klammerte sich an ihre Mutter und weinte leise.
    »Haben Sie alle Menschen aus dem Haus gebracht?«, fragte ein anderer.
    »Nein.« Tonlos kam es von Nadina Galinowa. »Babuschka und Rex...«
     
    Man fand nicht mehr viel von ihnen. Aber ich konnte zumindest erklären, was geschehen war. Bevor Babuschka zu Bett ging, deckte sie immer das Herdfeuer mit Sand ab. Sie musste geglaubt haben, in der Tüte, die ich neben den Spülstein gestellt hatte, sei frischer Sand gewesen, und hatte das Salpetersalz in die Glut geschüttet.
    Sie und der alte Hund hatten keine Chance gehabt.
     
    Die Nachbarn nahmen uns auf, versorgten unsere Wunden, liehen uns Kleider, fanden Schlafplätze für uns. Aber am Morgen, als

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