Göttertrank
gebrochen!«
Es war ein Aufschrei der Verzweiflung. Und dann, wie durch Zauberhand, ließ der Regen für einen Moment nach, und Jan Martin sah die Küste – irgendeine Küste – vor sich liegen. Eine bergige Küste. Ein Riff.
Ein donnerndes Krachen, ein Bersten. Wie von einer Riesenfaust geschüttelt bebte die Mathilda .
Jan Martin fühlte sich wie gelähmt.
Jemand nahm das Messer aus seiner starren Hand und kappte das Tau, mit dem er sich an den Mast gebunden hatte. Er rutschte über das schräge Deck und landete im schäumenden, brodelnden Wasser.
Es wurde dunkel um ihn.
Jemand stach mit dem Finger in seinen Bauch.
»Fettes weißes Schwein!«
Sie redeten in einer seltsamen Mischung aus Spanisch und Französisch miteinander. Aber was die Äußerung bedeutete, darüber bestand kein Zweifel. Obwohl er noch nicht ganz bei Sinnen war, erfasste er, was die Menschen beabsichtigten. Sie entschieden nämlich über sein Leben. Die eine Stimme plädierte dafür, ihm die Kehle durchzuschneiden, eine andere hatte offensichtlich die Hoffnung, Geld aus seinem schmerzenden Kadaver zu schinden. Wie auch immer, Jan Martin hoffte nur, es möge schnell gehen.
Mühsam öffnete er die salzverklebten Lider und sah drei Paar schwarzer Beine.
»Bin Doktor. Hilfe!«, krächzte er, sich des Spanischen bedienend.
»Ah, wertvolles fettes weißes Schwein. Nimm ihn mit zu Maria.«
Jemand zerrte ihn unter den Achseln hoch und schüttelte ihn. Doch seine Beine wollten ihn nicht tragen. Also packten sie ihn an den Füßen und unter den Armen und schleppten ihn über den Sandstrand zu einer Hütte. Das Dach war fortgeweht worden, der Boden noch feucht. Aber eine dicke schwarze Frau hielt ihm einen Becher mit einer Flüssigkeit an den Mund. Durstig nahm er einen Schluck.
Die Hölle brannte auf den rissigen Lippen, auf der Zunge, im Gaumen und dann im Magen. Er hustete.
»Was...?«, keuchte er entsetzt.
»Medizin. Rum.«
Die Frau holte auf einen gegrunzten Befehl hin eine Decke und warf sie über ihn. Erschöpft zog er sie an sich und sank zurück in eine halbe Besinnungslosigkeit.
Wie lange sie gedauert hatte, vermochte er nicht zu sagen. Als er das nächste Mal die Augen öffnete, hatte die Hütte wieder ein Dach aus Palmblättern, und allerlei Krimskrams häufte sich in den Ecken an. Geschirr, Kerzenständer, eine Harpune, ein Sextant, ein Fernrohr – alles Gegenstände, die er auch auf der Mathilda gesehen hatte.
»Du essen, Mann«, sagte die dicke Schwarze, die mit einer Holzschale in der Hand durch das sonnenhelle Geviert des Eingangs trat. Um ihren Hals baumelte das mit Türkisen besetzte Kreuz, das eine der Nonnen, die einzigen weiteren Passagiere auf dem Schiff, getragen hatte. Vermutlich hatten ihre Gebete weniger genutzt als die seinen, dachte er mit einem für ihn selbst erstaunlichen Zynismus. Es gelang ihm, die Schale festzuhalten und sich den Bohnenbrei in den Mund zu löffeln. Auch für den Becher mit Wasser war er dankbar. Dann machte er Bestandsaufnahme, indem er systematisch in seinen Körper hineinfühlte. Prellungen, Zerrungen, einige Hautwunden, doch keine Knochenbrüche. Erschöpfung und leichtes Fieber, eine Beule über der Stirn. Nichts, wie er einigermaßen beruhigt feststellte, was direkt seinen Tod zur Folge haben würde.
Anders sah das mit seinen Gastgebern aus. Sie hatten ihn aufgenommen, um einen Gewinn aus ihm zu schlagen. In welcher Art, das war ungewiss.
»Wo bin ich?«, fragte er die Dicke, als sie das nächste Mal auftauchte.
»Ich nix verstehn, Mann«, war ihre nicht besonders hilfreiche Antwort. Sie bediente sich eines Sprachmischmaschs, den auch die anderen untereinander verwendeten. Jan Martin verlegte sich aufs Lauschen. Spanisch hatte er in dem Jahr in Venezuela recht gut gelernt, Französisch verstand er einige Brocken, Englisch sprach er fließend, aber die unbekannten Ausdrücke mussten aus der Heimat der Schwarzen stammen. Sie mochten entlaufene oder freigelassene Sklaven sein, und wenn ihn nicht alles täuschte, dann fristeten sie ihr Leben als Strandräuber.
Drei Tage später fühlte er sich kräftig genug, die Hütte zu verlassen. Man hinderte ihn nicht daran. Warum auch? Er humpelte mühsam, sein gezerrtes Fußgelenk erlaubte ihm keine Flucht. Hinter ihm lag dichter tropischer Wald, vor ihm das Meer und auf dem Riff die Reste der Mathilda . Auf kleinen Wellen glitzerten die Sonnenstrahlen, und See und Himmel erstrahlten in einem geradezu unwirklichen Blau. Nur die gezausten
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