Göttertrank
am Vorgebirg zerschellen,
Lenkt sie nicht augenblicklich ein.
Der Normann, Giesebrecht
Jan Martin betete. Das war das Einzige, was ihm noch einfiel. Stumm, denn Worte riss der Orkan ihm aus dem Mund. Selbst das Atmen fiel schwer. Zu wem er betete, wusste er auch nicht mehr. Die drei Nonnen und der hagere Missionspater hatten zur Muttergottes gefleht, solange er sich noch unter Deck aufgehalten hatte. Die Matrosen an Deck aber fluchten. Ausgiebig und wortreich. Doch weder das eine noch das andere gebot dem Heulen Einhalt. Mit harter Hand harfte der Sturm in den Trossen. Wieder türmte sich eine grüne, weiß schäumende Welle hinter ihnen auf und fiel donnernd über das Heck des Dreimasters.
»Marssegel einholen!«, übertönte die Stimme des Kapitäns aus der Flüstertüte das Tosen des Windes.
Jemand rief Sankt Elmo um Hilfe, und Jan Martin schloss sich der Bitte inbrünstig an. Er hatte nur noch Angst. Seit Stunden heulte der Sturm mit beispielloser Gewalt in den Wanten. Eigentlich, so hatte ihm der Skipper noch am vorigen Tag versichert, segelten sie auf einer Route unter dem Wind, doch in diesem Jahr hielt sich einer der Hurrikane nicht an die gängigen Gepflogenheiten. Prasselnd peitschte seit geraumer Zeit eine Regenwand nieder und verhinderte jede Sicht. Jan Martin hatte seine Kajüte verlassen müssen, das Wasser stand schon bis zu den Knien darin. Hier an Deck hatte irgendjemand ihm ein Tauende gereicht und ihm empfohlen, sich an den Großmast zu binden. Jetzt sah er, wie eine Handvoll Matrosen sich zum Fockmast vorkämpften, um dem Befehl des Kapitäns Folge zu leisten.
»Grundgütiger!«, stieß er hervor, als er beobachtete, wie sie in dem tobenden Sturm zu den Rahen hochkletterten, um eines der letzten Segel einzuholen. Wieder tauchte der Bug in ein Wellental, und mit Entsetzen sah er drei Mann von ihnen über Bord gehen, als die Sturzsee sich über die Planken ergoss.
»Heiliger Nick!«, schrie jemand. Ihm aber nahm der Wind den Atem, als er in das brodelnde Wasser schaute, in dem die Matrosen verschwunden waren. Drei weitere Männer versuchten ihr Glück. Es ging seit Stunden nur noch darum, den Segler zu retten. Ein Teil der Ladung war schon über Bord geworfen worden. Vermutlich hatten sie auch jeden Kurs verloren. Jan Martin hatte keine Ahnung, wie die Chancen standen. Ihm schien es, als ob der sichere Untergang ihnen gewiss sei. Doch noch immer gab der Kapitän unverdrossen Befehle. Unter Deck pumpten die Männer aus Leibeskräften, um das eindringende Wasser aus dem Rumpf zu bekommen, hier an Deck galt es auf irgendeine Weise, die Mathilda vor dem Wind zu halten. Doch es war ein Kampf zwischen ungleichen Mächten. Über ihm flatterte knallend das zerrissene Tuch des Bramsegels, das schon vor einiger Zeit Opfer des brutalen Windes geworden war. Sechs Mann hatten sie bereits verloren, unzählige hatten Verletzungen erlitten, etliches Gerät war über Bord gegangen. Wieder und wieder ergossen sich Sturzseen von achtern über das Deck, und in heller Panik klammerte Jan Martin sich an den Mastbaum.
Ein Deckoffizier schlitterte an ihm vorbei und hielt sich ebenfalls am Mast fest.
»Doktor?«
»Immer noch.«
»Nehmen Sie!« Er streckte ihm ein Messer entgegen. »Tau kappen, wenn wir scheitern.«
Dann war er fort.
Die Übelkeit würgte Jan Martin, er wurde von einem weiteren Schwall Salzwasser durchtränkt.
»Heilige Anne von den Winden, helfe uns!«
Irgendjemand hatte das gerufen, und auch er bedachte Mutter Anne mit einem innigen Flehen. Das Fluchen hatte gänzlich aufgehört, die Gebete nahmen zu. Jan Martin beobachtete mit sinkendem Mut die Matrosen auf der Marsrah. Den Männern gelang es nicht, das nasse, schwere Segeltuch zu reffen. Es blähte sich zum Zerreißen prall im Wind und trieb das Schiff voran. Plötzlich krachte es über ihm ohrenbetäubend, und die Kreuzrah kam mit einem splitternden Kreischen nach unten. Tuch und Tau lagen über dem Deck verteilt, unter dem eisenbeschlagenen Holz der Offizier. Jan Martin wollte sich zu ihm hinarbeiten, aber sowie er sich aufrichtete, drückte ihn der Sturm zurück. Hilflos musste er mit ansehen, wie der Mann mit einem letzen Zucken seiner Beine starb.
Weitere Befehle hallten über Deck, und irgendwann stapften der Karpentier und zwei Mann mit Äxten bewaffnet an ihm vorbei, um den Besanmast zu kappen. Das Schiff hatte quer zum Wind gedreht und krängte in den Wellen so stark, dass die Rahen das Wasser berührten.
»Ruder
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