Göttertrank
Stunde zu marschieren. Er tat es halb bewusstlos, und als der Spanier vor einer mit Palmwedeln bedeckten Lehmhütte anhielt, sein Bündel hineinwarf und ihm barsch anbefahl, sich am nächsten Morgen zur Arbeit einzufinden, da fiel er, völlig entkräftet, einfach zu Boden und schlief ein.
Lautes Vogelkreischen weckte Jan Martin in der Morgendämmerung. Zuerst hatte er Schwierigkeiten, sich daran zu erinnern, wie er in diese kahle, staubige Hütte gelangt war. Neben ihm schlief in unordentliche Decken gewickelt ein hagerer Schwarzer, der den säuerlichen Dunst von Schweiß und Rum verströmte. Steif und durstig suchte Jan Martin seine schmerzenden Glieder zusammen und stolperte aus dem Eingang. Mehrere Hütten umstanden einen kleinen Platz mit einer Pumpe und einem Trog. Nur vereinzelte Bewohner waren schon wach. Zwei milchkaffeebraune junge Frauen in bunten Kleidern rieben irgendwelche Wurzeln in einen Topf und starrten ihn an. Dann begannen sie, wie alle jungen Mädchen, die ihm bislang begegnet waren, zu tuscheln und zu kichern. Er bemühte sich, es zu ignorieren, und schleppte sich zu dem Trog. Aus den zusammengelegten Händen trank er durstig. Das Wasser belebte ihn, noch mehr die Bananen, die er neben seinem Bündel und einem Sack Bohnen fand. Ohne den Mann zu wecken, richtete er sich, so gut es ging, in dem winzigen Verschlag ein und zog die grobe Leinenhose und die Matrosenbluse an, die man ihm als Kleidung zugestanden hatte. Vermutlich stammten sie aus einer der erbeuteten Seekisten der Mathilda .
Inzwischen war Leben in der Ansiedlung aufgekommen, und sein erster Arbeitstag begann. Bisher hatte er seiner Umgebung wenig Aufmerksamkeit gewidmet, und deswegen überkam ihn eine bittere Heiterkeit, als er entdeckte, worin seine Tätigkeit bestand. Er sollte nämlich gemeinsam mit einer Gruppe Kinder Kakaofrüchte aufschneiden, das Fruchtfleisch herausnehmen und die Samen auf dem Boden auf ausgebreiteten Bananenblättern aufschichten.
Sein Wunsch war erfüllt worden – er befand sich auf einer Kakaoplantage. Doch nicht als geehrter Besucher oder angesehener Forscher, sondern als Kontraktarbeiter. Und in dieser Kategorie auch noch so ziemlich auf der untersten Stufe, wie ihm die spöttischen Bemerkungen der zehn- bis zwölfjährigen Jungs klarmachten. Sie waren viel geschickter als er darin, die zähe, violette Haut der länglichen, geriffelten Früchte mit einem Schlag der kurzen Macheten aufzuspalten. Und mit weitaus flinkeren Fingern befreiten sie das weiße Fruchtmus mit den bohnenförmigen Samen aus den Schalen.
Am Ende des ersten Tages wollte Jan Martin nur noch schlafen.
Am Ende des sechsten Tages gestatteten sie ihm einen Ruhetag.
Am Ende der zweiten Woche war er bereits in der Lage, sich nach der Arbeit einen Brei aus Bohnen und etwas gesalzenem Fleisch zu kochen.
Er passte sich allmählich an. An das feuchtwarme Klima, an den Geruch des fermentierenden Kakaos, dessen Fruchtfleisch sich in der Hitze zwischen den Lagen von Bananenblättern verflüssigte, an die allgegenwärtigen kleinen Fruchtfliegen. Er wurde geschickter mit der Machete und findiger, etwas zu essen aufzutreiben. Er wurde sogar wieder neugierig, als die Jungen anfingen, den Haufen aus Bananenblättern umzuschichten. Da sie sich inzwischen an seine trottelige Art gewöhnt hatten, erklärten sie ihm sogar, warum sie das taten. Er verstand das von ihnen gesprochene Patois zwar noch nicht vollkommen, aber er lernte, dass die sich durch die Fermentation entwickelnde Hitze der Kakaobohnen nicht zu hoch werden durfte. Und das erinnerte ihn an seinen Unfall vor langer Zeit. Neugierig betrachtete er den Vorgang, wie die gelblich weißen Bohnen sich allmählich braun färbten und schon entfernt ein Kakaoaroma entwickelten. Erstaunt stellte er fest, dass sie zunächst gekeimt hatten, dann aber der Keim durch irgendwelche chemischen Prozesse abstarb. Jene Bohnen, die nicht gekeimt hatten, entwickelten auch kein Aroma.
Nach einem Monat war das Fieber, das ihn immer wieder eingeholt hatte, endlich abgeklungen, und er fühlte sich kräftig genug, sich endlich einen Überblick über seine Situation zu verschaffen. Informationen zu sammeln, war für seinen Akademikerverstand eine Herausforderung. Da die überwiegend dunkelhäutigen Arbeiter so gut wie nichts mit ihm zu tun haben wollten, musste er sich auf die zufällig belauschten Unterhaltungen beschränken, die er deuten konnte. So hatte er herausgefunden, dass er sich auf der Plantage der
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