Göttertrank
Valmonts befand, die französischstämmigen Besitzer eines riesigen Areals, deren Herrenhaus sich nördlich seines Einsatzortes befand. Trinidad selbst, das wusste er, gehörte der englischen Krone, doch die großen Pflanzer stammten aus unterschiedlichen Nationen, denn die Insel hatte in der Vergangenheit oft den Besitzer gewechselt. Spanier und Franzosen waren genauso vertreten wie Briten. Die Arbeiter hingegen kamen überwiegend aus afrikanischen Ländern, sie waren über die Jahre als Sklaven eingeführt worden, und erst jetzt, so hatte er gehört, sollte die Sklaverei abgeschafft werden. Der Pflanzer Valmont hatte seine Konsequenz bereits daraus gezogen und seinen Sklaven Arbeitskontrakte über fünf Jahre angeboten. Ob das eine Verbesserung der Zustände war, bezweifelte Jan Martin. Zuvor hatte der Besitzer für Kleidung, Unterkunft und Verpflegung seiner Leute gesorgt. Jetzt erhielten sie einen lächerlichen Lohn und mussten sich an den vom Aufseher betriebenen Verkaufsstand ihre Nahrungsmittel und Stoffe kaufen. Bohnen waren billig, sicher, aber Pökelfleisch nicht, Tabak und Rum günstig, aber für Salz und Zucker, Tee oder Kaffee, Baumwolltuch, Nadel und Faden, Schuhe und Decken verlangte Rodriguez halsabschneiderische Preise.
Ein Teil der Sklaven hatte dennoch das Angebot angenommen, andere waren zu Nachbarplantagen abgewandert, die bessere Konditionen versprachen, oder hatten ihr Glück in einem der Hafenstädtchen gesucht. Arbeitskräfte waren also knapp, weshalb der Aufseher so erpicht darauf gewesen war, ihn unter Vertrag zu nehmen, überlegte Jan Martin. Und streng darauf achtete, jegliche Möglichkeit zur Flucht zu vereiteln.
Er versuchte es dennoch. Die Kakaosamen wurden nach der Fermentation auf großen Matten ausgebreitet und in der prallen Sonne getrocknet. Zu seinen Aufgaben gehörte es inzwischen, die Bohnen in die Jutesäcke zu füllen, die auf flachen Booten über den Fluss zur Küste transportiert wurden. Dieser Fluss war seine erste Wahl gewesen. Es musste an der Mündung einen Hafen geben und Menschen, die einem Schiffbrüchigen weiterhelfen würden. Aber als er sich einmal bei Einbruch der Dunkelheit zu weit in diese Richtung gewagt hatte, schreckte ihn ein lauter Knall, und eine Kugel schlug vor seinen Füßen ein. Nur weil seine Arbeitskraft dringend gebraucht wurde, hatte man ihn nicht auch noch ausgepeitscht.
Er wollte mit einem weiteren Versuch warten, bis er mehr Kenntnisse des Geländes erworben hatte.
Dazu kam es in den nächsten Monaten. Das Aufschlagen der Früchte hatte er nun den Kindern zu überlassen. Rodriguez hielt ihn für kräftig genug, die aufgestapelten Früchte unter den Bäumen aufzulesen und zu den Sammelstellen zu schleppen. Dabei drang Jan Martin tiefer in die Plantage ein und konnte nun auch die Kakaobäume in ihrem Wachstum beobachten. Unter den breiten, schattenspendenden Bananen- und Kokosbäumen wuchsen sie dicht an dicht, die Stämme besetzt mit Büschelchen von weißen Blüten und Früchten in allen Farbschattierungen der Reife – von Grünlich über Gelb, Rosa bis zum dunklen Violett. Die Männer schlugen sie mit besonders geformten Messern vom Stamm ab, und er beobachtete, wie sorgfältig sie darauf achteten, den Ansatz der Frucht nicht zu beschädigen. Jemand erklärte ihm, dass daraus später weitere Blüten entspringen würden.
Es war Knochenarbeit, die Früchte in der schwülen Hitze zu tragen, und oft schlief er, ohne sich eine Mahlzeit zuzubereiten, einfach ein. Er ernährte sich tagelang einzig von den allgegenwärtigen Bananen.
Seine Situation verbesserte sich, als ein Pflücker bei der Ernte ihm aus dem Baum geradewegs vor die Füße fiel. Der Mann jaulte auf, als er ihm half, sich aufzurichten, und den Grund erkannte Jan Martin sofort. Er war auf die Schulter gefallen und hatte sie sich ausgerenkt. Das Gelenk stand in einem unnatürlichen Winkel ab, und die gedehnten Bänder und Sehnen mussten entsetzlich schmerzen. Andere kamen herbei, um zu sehen, was passiert war, und Jan Martin zeigte auf einen bulligen Schwarzen.
»Du, halt den Mann fest. Ich helfe ihm!«
»Häh?«
»Mach schon. Ich weiß, was ich tue. Ich bin Arzt. Medico, verstehst du?«
Jemand lachte, aber der Verletzte stöhnte nur und blaffte den Bulligen an. Der tat also wie geheißen, und mit einem Ruck, der noch einen weiteren Schrei zur Folge hatte, bekam Jan Martin das Gelenk wieder in seine ursprüngliche Haltung. Ein stiller Dank an Doktor Klüver, der ihn diese
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