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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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gegenseitig Gesellschaft?«
    »Holen Sie Ihren Stuhl rüber. Sie sind zu Gast bei Alexander Masters.«
    »Angenehm, Sie kennenzulernen, Herr Masters. Ich komme sofort zurück. Sagen Sie dem Ober, er kann die Kerzen anzünden und den Bordeaux einschenken.«
    Alexander entdeckte, dass er noch des Lächelns fähig war, eine Fähigkeit, die er vermeinte, im vergangenen Jahr völlig verlernt zu haben.
    Während sie aßen, machte Waldegg gekonnt und belanglos Konversation.
    »Ein gelungenes Mahl, Masters. Was mich daran erinnert, dass ich mir einen Sack Kartoffeln zulegen muss. Sehr vielseitig, diese Knollen.«
    »Ich koche mir alle drei Tage einen Vorrat an Pellkartoffeln.«
    »Ah, haben Sie die schon mal mit frischem Quark versucht?«
    »Ja, und auch mit Matjes und mit Blutwurst. Aber gelegentlich koche ich mir auch einen Haferbrei. Wegen der Abwechslung.«
    »Keine schlechte Idee. Ich habe Nudeln und Reis gekauft. Die halten sich gut.«
    »Das heißt, auch Sie werden an der hiesigen Verpflegung nicht teilnehmen?«
    Obwohl die Gefangenen der Festung Jülich die Möglichkeit hatten, im Offizierskasino die Mahlzeiten einzunehmen, fand Alexander weder das Essen noch die Gesellschaft dort genießbar. Schon nach der ersten Woche hatte er beschlossen, sich lieber selbst seine Mahlzeiten auf dem einfachen offenen Herd zuzubereiten. Dabei wanderten seine Gedanken oftmals zurück nach England, wo der Ingenieur Thornton Harvest ihn die tägliche Küchenarbeit hatte verrichten lassen. Kochen zu können, war eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit für einen Mann in seiner Lage. Alexander wusste genau, wie sehr die anderen Gefangenen ihn darum beneideten, doch er fühlte sich bis dato nicht bemüßigt, sie an seinen Gerichten teilhaben zu lassen.
    Waldegg spießte ein Stück knusprigen Speck auf seine Gabel und erklärte mit einem leisen Knurren: »Ich bin gestraft genug damit, hier zwei Jahre abzurutschen, da werde ich mir doch den Tort im Casino nicht freiwillig antun.«
    »Verzeihen Sie die dumme Frage – wo haben Sie kochen gelernt, Waldegg? Es hört sich ziemlich professionell an, was Sie da von Nudeln und Reis sagen. Und die Leber ist delikat.«
    »Meine Frau hat mir ihr Kochbuch mitgegeben. Da stehen eine Menge einfacher, guter Gerichte drin. Ein paar hat sie mir so dann und wann schon beigebracht.«
    »Ihre Frau?«
    »Toni ist ein praktisch denkender Mensch. Sie kennt sich mit solchen schlichten Lebensumständen ganz gut aus, wissen Sie. Ich leihe Ihnen das Buch gerne mal aus.«
    Alexander konnte nur staunen. Dieser trotz seiner einfachen Kleidung sehr distinguiert wirkende Mann hatte von seiner Frau das Kochen gelernt. Unter schlichten Bedingungen. Und bekannte sich ganz offen dazu. Er musste ein interessantes Leben geführt haben.
    »Sie machen auf mich nicht gerade den Eindruck eines Mannes, der ein bescheidenes Dasein fristet«, bemerkte er, ließ es aber vorsichtig wie eine Frage klingen.
    »Nein, weder bescheiden noch langweilig. Kommen Sie, wir erledigen unserer Hausfrauenpflichten, und dann lasse ich Sie wieder in Ruhe.«
    Gemeinsam schrubbten sie Pfannen, Teller und Bestecke am Brunnen, dann wollte Waldegg in seinem Zimmer verschwinden. Alexander räusperte sich, und er blieb in der Bewegung stehen.
    »Ich hatte mir für heute Abend eine Flasche Rotwein besorgt. Wenn Sie Lust haben …«
    »Kommen Sie mit Flasche und Glas zu mir, dann betrachten wir auf stilvolle Weise den Sonnenuntergang. Ich habe einen guten Weißen da, wenn der Rote zur Neige geht.«
    Erstmals seit seiner Ankunft in der Festung fühlte Alexander sich nicht mehr wie ein Hamster in der Tretmühle seiner eigenen Gedanken. Den Nachmittag verbrachte er sogar damit, eine kleine technische Zeichnung von einem Walzwerk anzufertigen und verschiedene Berechnungen dazu anzustellen. Das war sein letztes Projekt bei Reinecke gewesen, und er war auf der Spur einer deutlichen Verbesserung in der Leistungsfähigkeit der Maschine.
     
    Seit einem Jahr und vier Monaten saß Alexander in der Festung Jülich ein und wartete darauf, dass ein weiteres Jahr und zwei Monate Gefangenschaft vorübergingen. Es waren nicht so sehr die Haftbedingungen, die ihn störten; er hatte schon in erheblich schlechteren Quartieren gehaust. Das Zimmerchen mit den dicken Mauern und dem schmalen Fenster war zumindest trocken, und er brauchte es mit niemandem zu teilen. Die vier Wochen in der Untersuchungshaft waren schlimmer gewesen. Hier in Jülich konnte er in begrenztem Maße sogar

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