Göttertrank
wirklich gut.«
»Alexander …«
»Was ist?«
»Mein älterer Bruder hieß Alexander.«
Ein jäher Ruck ging durch mich hindurch. »Dein Bruder? Das würde... Ich wusste nicht …«
»Er kann es nicht gewesen sein, er starb 1815. Aber wenn er älter geworden wäre – ein Ingenieur wäre auch aus ihm geworden. Er wollte schon als Junge immer wissen, wie alles Technische funktioniert. Ich... wir alle haben lange um ihn getrauert. Und irgendwie hat es sich eingebürgert, seinen Namen nicht zu erwähnen. Vielleicht ist das falsch gewesen. Je nun. Was macht dein Alexander heute?«
Angesichts der Parallelität der Ereignisse erlaubte ich mir ein amüsiertes Zwinkern.
»Er ist, anders als du, nicht der Falle entkommen. Sie ist zugeschnappt, und er musste die Tochter eines Fabrikanten aus Elberfeld heiraten. Wir haben uns dann und wann geschrieben, aber seit einem Jahr bekomme ich keine Post mehr von ihm. Man verliert sich eben aus den Augen.«
Es war gemütlich bei dem gelblichen Licht der Petroleumlampe und der abendlichen Stille. Ich hatte unsere Gläser mit Rotwein gefüllt, und Murzik kam, auf der Suche nach einem Leckerbissen, auf meinen Schoß gesprungen. Zierlich nahm er einige Stückchen Hühnerfleisch von meinen Fingern und rollte sich dann zufrieden schnurrend zusammen.
»Soll ich mich nach ihm erkundigen, Amara?«, fragte Julius nach einem Moment des Schweigens.
»Nein. Wenn er nicht mehr dem dummen kleinen Mädchen schreiben will, das flüchtig seinen Weg gekreuzt hat, dann ist das sein gutes Recht.«
»Es könnte ihm auch etwas zugestoßen sein.«
»Dann könnte ich es jetzt auch nicht mehr ändern.«
Wir unterhielten uns jetzt nur noch ganz leise, und Julius nahm meine Hand in die seine.
»Du hast so viel mehr Noblesse als Dorothea und ihresgleichen. Mehr Mut und mehr Klugheit. Du warst schon als Kind so.«
»Das kommt dir nur so vor, weil ich dich damals förmlich angebetet habe, Master Julius.«
»Eine Haltung, die ich tatsächlich nur bewundern kann.«
»Ich war damals noch sehr klein und du schon sehr groß.«
»Und jetzt bist du über die Bewunderung hinausgewachsen?«
Nein, das war ich nicht. Aber ich schalt mich leichtsinnig dafür, dass ich mich an eine Grenze manövriert hatte, die zu überschreiten viel zu gefährlich gewesen wäre.
»Es ist spät geworden, Julius. Für mich beginnt der Tag beim Morgengrauen, und auch du wirst noch Dinge zu klären haben.«
»Du hast recht.« Er erhob sich, und ich setzte den unwillig knurrenden Murzik am Herd ab und geleitete Julius zur Tür.
»Du bist mir ausgewichen, Amara.«
»Du hast selbst gesagt, ich sei klug.«
»Wie entsetzlich.« Und mit einem festen Griff zog er mich an sich und küsste mich sanft auf die Lippen.
Aus der Festungszeit
Deutsche Freiheit lebet nur im Liede.
Deutsches Recht – es ist ein Märchen nur!
Deutschlands Wohlfahrt ist ein Friede -
voll von lauter Willkür und Zensur!
Auswanderungslied, Fallersleben
Antonia Waldegg brach wie ein Wirbelsturm auf Abwegen über Alexander herein. Er fühlte sich, als würde er mehrmals durch die Luft geschleudert, und als er wieder festen Boden unter den Füßen spürte, war sein Leben nicht mehr das, was es vorher war.
Aber das war nur die Krönung einer längeren Kette von Ereignissen, die damit begann, dass im Sommer 1835 ein grauhaariger Mann mit einer Pfanne voll brutzelnder Fleischstücke in der Hand in seiner Tür stand und ihn einlud, das Essen mit ihm zu teilen. Dabei lächelte er, und seine rechte Braue zog sich spöttisch nach oben, wodurch das von einer schiefen Nase beherrschte Gesicht wie zweigeteilt wirkte.
»Es roch so verdammt gut aus Ihrem Zimmer, da dachte ich, ich könnte einen Happen schnorren, wenn ich einen Teil von meiner gebratenen Leber anbiete.«
Perplex schaute Alexander, die Schalen von zwei Eiern in der Hand, die er gerade über Speck und Bratkartoffeln geschlagen hatte, auf die gebräunten Fleischstücke und die Zwiebelringe. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen.
»Haben Sie Ihren Teller mitgebracht?«
»Na klar!«
Der Besucher zog einen Blechteller unter dem Arm hervor und stellte ihn auf den Tisch. Alexander nahm seine Pfanne von dem einfachen, aus einigen Ziegeln gemauerten Herd, den er von dem Vorbewohner der Kammer dankbar übernommen hatte, und teilte den Inhalt in zwei gleiche Hälften. Der andere tat dasselbe mit seiner Portion Leber.
»Cornelius Waldegg, zu Diensten. Möchten Sie alleine speisen oder leisten wir uns
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