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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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dann war es wichtig voranzukommen. Die Technik wollte er beherrschen, nicht die Menschen. Die hatten zu funktionieren.
    Aber so einfach war das Leben nicht, auch das hatte er nun erfasst. Und mit seinem analytischen Verstand versuchte er herauszufinden, an welchen Stationen seines Lebenswegs er die Fehler gemacht hatte, die ihn jetzt in die Festung geführt hatten.
    Es war eine schmerzliche und demütigende Aufgabe für einen stolzen und willensstarken jungen Mann.
    Cornelius Waldegg schenkte Alexander Wein nach. Er hatte sein Schweigen geteilt und stellte auch jetzt keine Fragen. Und dennoch fühlte Alexander sich seltsamerweise aus tiefstem Grund verstanden.
     
    Zweimal in der Woche hatten die Gefangenen innerhalb der Festungsstadt Freigang, und Alexander hielt jedes Mal nach Dingen Ausschau, die seinem aufgezwungenen Nichtstun irgendeine Ablenkung versprachen. Aber das Angebot kam seinem Geschmack nicht entgegen. Er hätte gerne einige technische Abhandlungen studiert, aber die kleine Buchhandlung führte überwiegend Schöngeistiges. Zeitungen gab es, er las sie auch, aber Fachaufsätze, die ihn interessiert hätten, waren selten. Verdrossen hatte er einmal zwei Romane erstanden, doch deren schwülstige Darstellung leidender Helden und zimperlicher Heldinnen stieß ihn schon nach kurzem Durchblättern ab. Regelmäßig suchte er das Postamt auf, um nachzusehen, ob Briefe für ihn gekommen waren. Es war wenig erbaulich, denn außer Erik Benson schrieb ihm niemand. Zum Glück war es dem Juristen gelungen, Alexanders Ersparnisse so zu sichern, dass er in den drei Jahren zumindest ein kleines Einkommen zur Verfügung hatte. Der spärliche Tagessatz, der den Festungsgefangenen ausgezahlt wurde, reichte kaum zum Leben und erst recht nicht zum Sterben. Die Post, die für ihn an seine alte Adresse bei Reinecke gesandt wurde, Korrespondenzen mit anderen Technikern und Wissenschaftlern, Briefe von Freunden und Bekannten, schien sein Schwiegervater zu konfiszieren.
    Doch nun entpuppte sich Cornelius Waldegg als angenehmer Nachbar. Davon war Alexander nach zwei Wochen überzeugt. Er war gesellig, doch nicht aufdringlich, vermied persönliche Fragen, erzählte aber freimütig von sich selbst, verfügte über ein fundiertes Wissen in den unterschiedlichsten Bereichen und ertrug die Festungshaft mit Gleichmut. Warum ihn die Verurteilung so unbeeindruckt ließ, fand Alexander an einem warmen Juliabend heraus.
    »Wissen Sie, Masters, ich habe, als ich so alt war wie Sie, sieben Jahre an der Kette abgebüßt. Da erscheint einem diese Festung geradezu wie das Grandhotel.«
    »Großer Gott, sieben Jahre Kette?«
    »In Brest. Mhm, war keine schöne Zeit. Aber ich Idiot hatte mich beim Falschspielen erwischen lassen. Ausgerechnet von einem der Geschworenen des Kriminalgerichts.«
    »Und ich habe einem Regierungsassessor die Hosen runtergelassen. Tja, man macht sich Feinde an den verkehrten Stellen.«
    »Ein Missgriff, aber vermutlich hat er es verdient.«
    »Ein Spitzel.« Und daraufhin vertraute Alexander ihm erstmals die Umstände an, die zu seiner Verurteilung geführt hatten. Waldegg war ein guter Zuhörer und kam ziemlich direkt auf den Punkt.
    »Die Trennung von Ihrer Frau dürfte demnach kein Problem mehr sein.«
    »Nein. Obwohl die Festungsstrafe kein Scheidungsgrund ist. Nur entehrende Strafen fallen darunter. Aber mein Schwiegervater wird schon einen Weg finden, mir irgendeine passende Schuld zuzuschieben. Er hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ein Verbrecher wie ich zu seinem Haus keinen Zutritt mehr hat. Nur, wissen Sie, Waldegg, ich sorge mich um Julia. Mir gefällt es überhaupt nicht, sie in diesem heuchlerischen Klima aufwachsen lassen zu müssen.«
    »Sie haben keine Freunde dort, die Einfluss nehmen können?«
    »Benson versucht, was er kann. Aber was soll ich tun? Solange ich nicht auf freiem Fuß bin, hat Paula die Vormundschaft über unsere Tochter.«
    »Wie alt ist sie jetzt?«
    »Sechs. Und ein sehr kluges Mädchen.«
    »Sie wird bald eine Erzieherin benötigen. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich Toni das Problem in meinem nächsten Brief schildern. Sie kann pietistische Frömmler nicht ausstehen, und selbst ich wage nicht zu wiederholen, was sie gelegentlich zu diesem Sujet zu sagen hat.«
    Alexander musste grinsen. Von Toni Waldegg hatte er inzwischen eine Menge gehört, er hätte sie gerne selbst kennengelernt. Sie war als Kind bei einer Marketenderin aufgewachsen und hatte mehr Schlachten

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