Göttin der Rosen
hindurchschlängelten. Sie konnte Bänke und plätschernde Wasserspiele erkennen, doch alles war in Nacht und Schatten gehüllt, und nur die duftenden Öllaternen, die von den Bäumen hingen, spendeten ein wenig Licht.
Doch als wie ein Traum der Tempel vor ihnen auftauchte, schwanden alle anderen Gedanken aus ihrem Kopf. Mikki blieb abrupt stehen. Im Schein Hunderter Fackeln erhoben sich himmelhohe, schlanke Säulen, die die Kuppel eines etwas erhöht gebauten, nach allen Seiten offenen Tempels stützten. Davor stand ein riesiger, absolut atemberaubender Brunnen. Kristallklares Wasser stieg an seiner Spitze zu einer sprudelnden Fontäne auf und ergoss sich dann in die vier Marmorbecken, die die Musik des Wassers in die Gärten hinauszutragen schienen.
Der Tempel selbst hatte ein elegantes minimalistisches Design, und in seinem Inneren, im Zentrum des weiten kreisförmigen Marmorbodens, brannte lediglich eine einzige Flamme.
»Hekates Fackel ist entzündet«, verkündete Floga mit von Emotionen halb erstickter Stimme. Die schöne scharlachrot gekleidete Dienerin war die Erste, die die Treppen hinaufging und den Tempel betrat. »Ich habe es in meiner Seele gespürt, aber sie tatsächlich wiederzusehen erfreut mein Herz!« Mit diesen Worten ging Floga zu der Flamme und streichelte sie zu Mikkis Erstaunen wie ein geliebtes Kind. Anstatt sie zu verbrennen, schien das Feuer Floga zu stärken. Ihre Hände leuchteten, und ihre roten Haare knisterten, als wären sie lebendig.
»Sie berührt das Feuer«, stieß Mikki verblüfft hervor. »Aber es verbrennt sie nicht.«
»Natürlich verbrennt es sie nicht«, sagte Gii. »Sie ist Feuer.«
Mit einer großen Willensanstrengung wandte Mikki den Blick von der scharlachroten Dienerin ab und sah Gii an. »Was meinst du mit: ›Sie ist Feuer‹?«
Gii musterte sie bedächtig. »Empousa, erkennt Ihr Eure eigenen Dienerinnen nicht mehr? Ich weiß, dass Ihr nicht verstanden habt, wer wir sind, als Nera und ich Euch begrüßt haben, aber bestimmt erinnert Ihr Euch jetzt, wo Ihr uns vier zusammen gesehen habt.«
»Gii, ich hatte noch nie Dienerinnen. Wie sollte ich euch wiedererkennen?«
»Ihr wisst wirklich nicht, wer wir sind?«, fragte Nera traurig.
Plötzlich spürte Mikki den überwältigenden Drang zu schreien, dass sie nicht einmal mehr wusste, wer sie selbst war – wie, zum Teufel, sollte sie vier Frauen wiedererkennen, die ihr völlig fremd waren? Aber die Dienerinnen sahen so betrübt aus, dass sie es nicht über sich brachte.
»In meiner alten Welt habe ich keine Göttin verehrt«, erklärte sie stattdessen und sah den Frauen nacheinander fest in die Augen. In der Stille, die auf ihr Geständnis folgte, hörte sie, wie Floga zurückkam und sich zu ihren Freundinnen gesellte. »Ich habe nie einen heiligen Kreis beschworen«, fuhr Mikki betont langsam und deutlich fort. »Ich habe nie irgendein Ritual durchgeführt. Ich hatte keine Ahnung, dass ich eine Priesterin Hekates bin, bis die Göttin selbst es mir gesagt hat. Deswegen erkenne ich nicht nur euch nicht wieder, sondern überhaupt nichts in dieser Welt.«
Die jungen Frauen starrten sie mit großen Augen an, vollkommen entsetzt.
»Gibt es in der gewöhnlichen Welt keine Göttinnen?«, fragte Gii schließlich mit leiser Stimme.
Mikki nahm sich Zeit mit ihrer Antwort. Sie erinnerte sich, dass Hekate gesagt hatte, sie würde schon seit Generationen über die Frauen ihrer Familie wachen, und es gab keinen Zweifel, dass irgendetwas Magisches in ihrem Blut lag. Die Berührung einer Göttin … Der Gedanke tauchte plötzlich in ihrem Kopf auf. Die Frauen in ihrer Familie waren von einer Göttin gezeichnet, was bedeutete, dass es Götter und Göttinnen geben musste, selbst in Tulsa, Oklahoma.
»Ich glaube, in meiner alten Welt existieren Göttinnen«, erklärte Mikki, dachte an ihre Familie und ließ sich von ihrem Instinkt leiten. »Aber die meisten Leute – die meisten Frauen – haben gelernt, ohne sie zu leben.«
»Wie schrecklich«, flüsterte Aeras.
»Also, wenn ihr mich nicht Empousa nennen wollt, kann ich euch das kaum verdenken«, sagte Mikki. »Ich habe den Titel nicht verdient.«
»Hekate hat Euch zu ihrer Empousa ernannt, und nur sie kann Euch den Titel absprechen«, erwiderte Gii. »Wenn die Göttin Euch als Empousa anerkennt, dann tun wir das auch.«
Die anderen drei Frauen nickten, aber Mikki fand, dass sie nicht sonderlich enthusiastisch wirkten.
»Und vergesst nicht«, wandte sich Gii an ihre
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