Göttin der Rosen
und wählte ihre Worte sorgfältig. »Sie ist wie keine andere Empousa. Zum einen kommt sie natürlich aus der gewöhnlichen Welt. Dieses Reich hier ist neu und fremd für sie.«
»Und sie ist älter als die anderen Priesterinnen«, fügte der Wächter hinzu. Als die Göttin ihn mit einem scharfen, wissenden Blick bedachte, verfluchte er sich dafür, dass er überhaupt gesprochen hatte.
»Das ist wahr. Und es stimmt auch, dass sie keine Erfahrung mit den Pflichten einer Hohepriesterin hat. Behalte sie stets im Auge, Wächter. Sie hat viel zu lernen und nur sehr wenig Zeit. Beltane ist schon bald.«
Er neigte den Kopf. »Ich werde tun, was Ihr befehlt, Große Göttin.«
Sie sah ihn durchdringend an. »Dieses Mal habe ich sichergestellt, dass du nicht so leicht zu einem Fehler verleitet wirst. Zusammen mit deiner Macht über die Realität habe ich dir einen … wie soll ich es nennen?« Ihre Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Lächeln. »Einen ganz besonderen Faden deiner eigenen Realität gegeben. Ich weiß, dass dein Körper für die Empousa entflammt war und dass sie deine Begierde gegen dich eingesetzt hat, als du das Unmögliche wolltest. Damit du nie wieder derartig fehlgeleitet wirst, habe ich dafür gesorgt, dass du dein Verlangen nach einer Frau nicht stillen kannst, solange sie dich nicht sowohl als die Bestie, die du bist, als auch als den Mann, der sich unter der Oberfläche verbirgt, anerkennt und liebt. Von diesem Augenblick an bist du von deinen eigenen unmöglichen Träumen befreit. Verstehst du das, Wächter?«
Von entsetzlicher Scham erfüllt, neigte er erneut den Kopf. »Ich verstehe, Große Göttin.«
Ihre Stimme wurde wieder weicher. »Ich tue das nicht aus Grausamkeit, sondern um dich und mein Reich zu beschützen. Denn welche sterbliche Frau könnte jemals ein Monster lieben?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, hob Hekate ihre Fackel, und als sie in einem Wirbelwind von Licht verschwand, ließ sie ihren Wächter so zurück, wie sie ihn vorgefunden hatte: vollkommen allein.
14
Im Gegensatz zum ersten Mal, als sie in Hekates Reich aufgewacht war, wusste Mikki an diesem Morgen ganz genau, wo sie sich befand, und war weder verwirrt noch verängstigt. Als sie die Augen öffnete, sah sie das helle Licht des neuen Tages in goldenen Wellen durch die Fensterfront scheinen. Jemand hatte die Vorhänge zurückgezogen, und der Tisch, an dem sie zu Abend gegessen hatte, war schon fürs Frühstück gedeckt.
Hatte er dafür gesorgt, dass ihr Frühstück angerichtet wurde? War er in diesem Moment dort draußen und beobachtete sie? Mikkis Magen krampfte sich zusammen, als sie sich vorstellte, ihn bei Tageslicht zu sehen. Letzte Nacht hatte er zur Dunkelheit gehört wie irgendeine Albtraumgestalt. Oder … murmelte die leise Stimme in ihrem Hinterkopf … wie ein heimlicher Liebhaber.
»Reiß dich zusammen!« Mikki setzte sich auf, schüttelte den Kopf, als könnte sie so die lächerlichen Gedanken daraus vertreiben, und dabei fiel ihr erneut auf, wie schön ihr neues Schlafzimmer war. Sie wollte aus dem Bett hüpfen und leichtfüßig auf den Balkon hinausschweben, wie es jede Frau tun sollte, die das Glück hatte, in so einem schönen Zimmer zu wohnen, aber leider wurde aus dem Hüpfen ein Stolpern und aus dem leichtfüßigen Schweben ein steifes Humpeln, begleitet von einem schmerzerfüllten Ächzen, als sie sich aufrichtete.
O Mann, ihr tat wirklich alles weh! Sie hinkte zur Tür. Als die Dienerinnen sie zum ersten Mal getroffen hatten, hatten sie offensichtlich gedacht, dass sie für eine Empousa ungewöhnlich alt war. Vielleicht lag das daran, dass nur ein verdammter Teenager die entsetzlichen Qualen überstehen konnte, die das Beschwören eines heiligen Kreises und das anschließende Tanzen mit einer Horde von Frauen mit sich brachten. Sogar ihre Haare schmerzten. Sie schnupperte an sich herum und stellte fest, dass sie dringend ein heißes Bad brauchte.
Als sie die Balkontür öffnete, wurde sie von einem kühlen, nach Rosen duftenden Windhauch empfangen. Er lenkte Mikkis Gedanken von dem wartenden Frühstück, ihren verkrampften Muskeln und dem geheimnisvollen Wächter ab und lockte sie ans Geländer ihres Balkons, wo sie über die Gärten blicken konnte.
Mikki erstarrte vor Ehrfurcht.
Zahllose Reihen von Rosenbeeten erstreckten sich vor ihr, ein Meer von Farbe. Zwischen den Beeten schlängelten sich weiße Marmorpfade hindurch, die sie mit Bäumen, Büschen und diversen Brunnen verbanden.
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