Göttin der Rosen
»Trink«, forderte sie ihn auf.
Er tat es und hatte dabei das Gefühl, die Essenz zu schmecken, die ihre Lippen hinterlassen hatten, und diese nachklingende Berührung war berauschender, als Wein es je sein konnte. Dann begriff er, was sie gesagt hatte, und befahl sich, das Träumen zu beenden.
»Warum überrascht Euch Eure Blässe nicht?«
»Die Rosen in diesem Teil des Gartens sind kränker als die im Osten«, antwortete sie zwischen zwei Bissen.
»Ja, das dachte ich auch.«
»Irgendwie stehe ich mit ihnen in Verbindung. Wenn ich in ihrer Nähe bin, wird mir übel.«
»Genau das habe ich vermutet. Ihr habt Euch verändert, als Ihr diesen Teil des Gartens betreten habt.«
»Weißt du, ob das bei den anderen Empousas auch so war?«
»Jede Empousa hat eine spezielle Verbindung zu den Rosen«, erklärte er bedächtig. »Das liegt im Blut der Hohepriesterinnen von Hekate.«
»Ja, das weiß ich. Selbst in Tulsa hatte ich eine besondere Verbindung zu den Rosen, genau wie alle Frauen meiner Familie. Das war schon immer so. Es ist … na ja, es ist so eine Art Familientradition.«
Er hatte den Eindruck, dass sie sich unbehaglich fühlte. Ob sie ihre Familie vermisste? Oder ihre alte Welt? Bei dem Gedanken wurde ihm eng ums Herz. Gab es da womöglich auch noch einen Mann, nach dem sie sich sehnte? Klang sie bei der Erwähnung ihres alten Lebens deshalb auf einmal so verlegen? Bevor er nachfragen konnte, fuhr Mikado fort:
»Aber ich wollte eigentlich wissen, ob schon mal eine Empousa wegen der Rosen solche Dinge gefühlt hat?«
»Vielleicht, aber ich hätte nichts davon mitbekommen. Die anderen Empousas haben kaum je mit mir gesprochen.«
Überrascht sah sie ihn an. »Aber du bist doch der Wächter des Reichs. Mussten sie nicht mit dir reden über« – sie machte eine Handbewegung zum Rosentor – »über die Absicherung der Grenze und all so was?«
»Die Empousas wussten, dass ich meine Pflicht tun würde. Deshalb hielt keine es für notwendig, mit mir darüber zu sprechen. Wenn eine Empousa spürte, dass sich eine Gefahr näherte, dann ließ sie mich rufen. Ansonsten hatten wir kaum je Bedarf, uns auszutauschen.« Er dachte an die Frau, die vor Mikado Empousa gewesen war, und fühlte erneut die Scham darüber, wie leicht sie ihn hatte glauben lassen, dass sie sich tatsächlich für ihn interessierte. Dass Generationen von Empousas ihn gemieden und seine Tätigkeit als Wächter für selbstverständlich gehalten hatten, war ja genau der Grund, warum ihr Trick so gut funktioniert hatte. Ein paar freundliche Worte hatten gereicht, und schon war er blind gewesen für alles, außer der Möglichkeit, dass sie ihm vielleicht noch einmal eine Nettigkeit erwies.
War es möglich, dass ihm etwas Ähnliches auch mit Mikado passierte? Sehnte er sich immer noch so verzweifelt nach der Zuwendung einer Frau, dass er sich schon wieder in ein derartiges Spiel verwickeln ließ?
Aber was für ein Spiel? Mikado kannte ihr Schicksal nicht, also hatte sie auch keinen Grund, ihn hinterhältig zu verführen.
»Asterius?«
Der Klang seines wahren Namens riss ihn aus seinen Gedanken. »So dürft Ihr mich nicht nennen, wenn eine der anderen Frauen es hören kann.« Die Erwiderung klang barscher, als er es beabsichtigt hatte, und er hasste den verletzten Ausdruck, der sofort in ihren Augen erschien.
»Entschuldigung. Ich hätte fragen sollen, ob es dir etwas ausmacht, wenn ich dich mit deinem richtigen Namen anspreche.«
»Es stört mich nicht.« Er begegnete ihrem Blick und wünschte sich, dass sie aus seinen Augen alles ablas, was er fühlte und wofür er keine Worte fand. »Es ist nur so, dass ich für die anderen lieber der Wächter bleiben möchte.«
»Das verstehe ich«, sagte sie.
»Wirklich? Kennt Ihr die Kraft, die in einem wahren Namen schlummert?«
»Nein«, räumte sie leise ein. »Erkläre es mir.«
»Wenn Ihr meinen wahren Namen aussprecht, höre ich ihn nicht mit den Ohren, sondern mit der Seele. Mit diesem einen Wort berührt Ihr meine Seele, Mikado.«
»Die Seele eines Mannes, Asterius.«
»Das hat mir die Göttin jedenfalls gesagt«, erwiderte er.
»Und du glaubst ihr nicht?«
»Ich würde niemals an Hekates Wort zweifeln«, beteuerte er hastig.
»Dann bist du es selbst, dem du nicht glaubst«, meinte Mikado.
Er wandte sich von ihrem allzu wissenden Blick ab und antwortete eine ganze Weile nicht. Schließlich entgegnete er zögernd: »Vielleicht fällt es mir schwer, an den Mann im Innern des Monsters zu
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