Göttin der Wüste
brannte ein Feuer. Die Sonne war noch nicht untergegangen, sie stand als flimmernder Glutball eine Handbreit über den Dünen des Horizonts.
Acht Männer saßen rund um das Feuer. An einer Stelle klaffte eine Lücke in ihrem Zirkel, der Platz für Qabbo und Cendrine. Die beiden setzten sich im Schneidersitz in den Sand. Cendrine bemühte sich um ein vorsichtiges Lächeln und nickte den übrigen Männern unsicher zu; als einzige Reaktion darauf erhielt sie ausdruckslose Blicke, die sich aber sofort abwandten, wenn sie einen von ihnen länger als zwei, drei Sekunden anschaute.
Sie haben Angst vor dem bösen Blick, dachte sie und wußte nicht recht, ob sie das amüsieren oder verstören sollte.
Qabbo mußte ihr nicht erst erklären, wer diese Männer waren. Sie wußte auch so, daß sie den Weisen gegenübersaß, den mächtigsten Schamanen der San. Sie waren alle gekommen, um gemeinsam mit ihr die Zeremonie durchzuführen. Das Ritual der Entdeckung des Innersten, so hatte Qabbo den Khoi-Begriff etwas sperrig ins Deutsche übersetzt. Es handelte sich dabei um eine Art Weihe, wenn sie ihn richtig verstanden hatte, und doch zugleich um viel mehr als das.
»Viel besser als wir selbst weiß unser Innerstes, wie viele Welten außerhalb der unseren existieren«, flüsterte er ihr jetzt zu, während die übrigen Weisen starr ins Feuer blickten. »Unser Geist und unser Innerstes sind eins, und sie sehen mehr, als wir selbst in unseren Träumen wahrnehmen können. Das Innerste empfängt die Botschaften von außen und gibt Antwort. Manche glauben – vor allem die Völker, die ihr zivilisiert nennt –, das Innerste würde diese Dinge selbst schaffen, sie sich einbilden. Falsch! Die Dinge und Welten existieren, und wenn du dich weigerst, das anzuerkennen, dann verweigerst du dich auch der Entdeckung deines Innersten – und damit am Ende dir selbst.«
Qabbos Worte unterschieden sich gar nicht so sehr von jenen, die sie während ihrer Studien der Philosophie gelesen hatte. Aber es war eines, sie auf dem Papier zu sehen und zu wissen, daß irgend jemand sie vor vielen Jahrhunderten niedergeschrieben hatte – und etwas ganz anderes, sie jetzt aus dem Munde eines San zu hören, überraschend wohlartikuliert, aber doch im Rahmen eines archaischen Zauberrituals.
Es sei denn, überlegte sie, es ginge hier in Wirklichkeit gar nicht so sehr um Magie als vielmehr um das gleiche, was auch die alten Philosophen zu vermitteln suchten. Um Wissen, um den Sinn von allem und das Erfassen der Zusammenhänge. Nachdem sie erst einmal zu diesem Schluß gekommen war, fiel es ihr leichter, sich auf das, was noch kommen mochte, einzulassen.
Einer der Weisen nahm ein Bündel trockener Hirsestengel vom Boden auf, beugte sich vor und entzündete es am Feuer. Ein Geruch wie von verbranntem Gras erfüllte innerhalb weniger Herzschläge das Lager, und einige der San stimmten ein an- und abschwellendes Summen an. Cendrine blickte fragend zu Qabbo hinüber, doch er schüttelte nur kurz den Kopf und bedeutete ihr, zu schweigen.
Nach einer Weile beteiligte sich auch Qabbo an dem fremdartigen Gesumme, und obwohl Cendrine die Melodie nicht kannte, fühlte auch sie den unerklärlichen Zwang, mit einzufallen. Sie hatte diese Melodie nie zuvor gehört, dennoch wußte sie stets, welcher Ton als nächstes folgte. Ihre Überraschung darüber war nur von kurzer Dauer. Bald schon wiegte sich ihr Körper in dem schwermütigen Rhythmus vor und zurück, und ihre Sinne verschleierten sich.
Cendrine fiel in Trance.
Was in den folgenden Stunden bis zur Morgendämmerung geschah, nahm sie nur bruchstückhaft und auf traumwandlerische Weise wahr. Es begann damit, daß sich das Feuer vor ihren Augen violett färbte. Die Flammen formten Arme, die hoch hinauf nach den Sternen griffen und in lodernden Gesten zu den Schamanen sprachen. Die Bedeutung ihrer Symbole und kryptischen Zeichen blieb Cendrine verschlossen, vielleicht konnte sie sich auch später einfach nicht mehr daran erinnern. Gestalten traten aus dem Feuer, Geister, die einen Reigen um die Sitzenden tanzten und ihnen von hinten obszöne Scherze ins Ohr flüsterten. Immer wieder sprang einer der Weisen auf, ging reihum, verbeugte sich vor jedem – auch vor Cendrine – und sprach dabei Gebete, deren Sinn ihr verschlossen blieb.
Die ganze Nacht verging mit solchen Gebärden und Gesängen, doch als sich am Morgen die Sonne hinter den Dünen erhob, schien es Cendrine, als seien nur wenige Minuten seit dem Beginn der
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