Göttin der Wüste
aber niemals, glaube mir, niemals treten sie selbst uns gegenüber.«
»Was geschieht nun weiter?« Sie setzte sich auf dem Lager aus Decken und Fellen auf, wohin die San sie gebettet hatten. Das Zelt war gerade hoch genug, daß sie darin hätte stehen können. Von draußen drang der Geruch nach gebratenem Fleisch herein.
»Du bist hergekommen, weil du etwas suchst«, sagte Qabbo. Er hatte die schlechte Angewohnheit stets das auszusprechen, was sie ohnehin schon wußte; alles andere, was er sagte, war in ihren Augen wirrer Hokuspokus. »Du suchst etwas in der Wüste, und ich wüßte nicht, warum du diesen Plan ändern solltest.«
»Ich höre die Stimme einer Frau«, sagte Cendrine. Es gab keinen Grund, das zu verheimlichen. Wahrscheinlich wußte er es ohnehin längst.
Tatsächlich nickte er. »Sie ruft dich.«
»Kann ich überhaupt irgendwelche Geheimnisse vor dir haben?« fragte sie ungehalten, aber auch ein wenig resigniert.
»Die Frauenstimme ist kein Geheimnis. Jeder, der die Kraft der Schamanen besitzt, kann ihre Rufe hören. Die andere Welt ist erfüllt davon. Sie durchziehen sie wie ein Netz, über das jeder von uns früher oder später stolpert.«
»Dann ruft die Frau auch euch andere?«
»Nein, nur dich.«
»Aber das ergibt doch keinen Sinn!«
»Du hast ja keine Ahnung, welche Macht in dir schlummert, weiße Schamanin. Keine Ahnung!«
»Nenn mich nicht so!«
»Verzeih mir. Aber auch dein Zorn kann nichts an den Tatsachen ändern. Die Rufe gelten dir allein.«
»Was, wenn ich nicht darauf höre?«
»Denkst du denn wirklich, du hättest eine Wahl?«
Sie wollte etwas erwidern, war dann aber zu verwirrt, um weiterzusprechen. Einen Moment lang schloß sie die Augen und versuchte, zurück zu der Ruhe zu finden, die sie beim Erwachen erfüllt hatte. Sie mußte gelassener werden, ausgeglichener, wenn sie diese ganze Sache heil überstehen wollte.
»Willst du mir weismachen, alles, was ich getan habe, hätte ich nicht aus freiem Willen getan?« fragte sie und war nicht mehr sicher, ob sie eine ehrliche Antwort hören wollte.
»Nichts geschieht aus freiem Willen.«
Sie fragte sich, ob Qabbo das sagte, um eine Art Kompromiß zu finden, oder ob er wirklich daran glaubte. Auf den ersten Blick erschienen seine Worte leer, simples Gefasel, aus übertriebener Spiritualität geboren; dann aber, nachdem die Worte eine Weile im Raum gehangen hatten wie ein rätselhafter Geruch, überlegte sie, ob nicht doch ein wenig mehr dahintersteckte.
Trotzdem blieb die Frage: Was würde geschehen, wenn sie jetzt einfach aufstand und Richtung Westen davonging, fort von der geisterhaften Ruferin, zurück in die Zivilisation? Würde irgendwer oder irgend etwas sie aufhalten?
Die Antwort war so klar wie profan: Hunger, Durst, wilde Tiere. Bedeutete das, daß die Natur selbst mit der Ruferin unter einer Decke steckte?
Himmel, es war alles so verworren! Ein Mosaik aus scheinbar einfachen Bruchstücken, die sich zu einem völlig verqueren Bild zusammensetzten. War es normalerweise nicht so, daß die bizarren Teile des Puzzlespiels erst in Verbindung miteinander einen Sinn ergaben? Hier aber war es genau umgekehrt. Nicht der Weg war geheimnisvoll, sondern das Ziel. Fraglos geheimnisvoller, als Cendrine es sich vorstellen konnte.
»Wie hast du mich gefunden?« fragte sie den kleinwüchsigen San.
»Ich bin deinen Spuren gefolgt.«
Cendrine verzog das Gesicht. »Warum nur habe ich das Gefühl, daß du damit keine Fußspuren meinst?«
Qabbo grinste breit. Zum erstenmal bemerkte sie, daß ihm die beiden oberen Eckzähne fehlten. »Das ist möglich.«
»Gut«, sagte sie resigniert, »du hast mich gefunden. Dann ist es wohl an der Zeit, daß du mir verrätst, was du von mir willst.«
»Dich auf deiner Mission begleiten.«
»Meiner Mission?«
Er nickte ernsthaft. »Dem Sieg über die Große Schlange.«
Sie unterdrückte den Drang, sich zurück auf das Lager sinken zu lassen. »Ich gebe mich geschlagen, Qabbo«, brachte sie mit einem Seufzen hervor. »Ich verstehe kein Wort mehr von dem, was du sagst. Aber es ist egal, wirklich. Es spielt keine Rolle mehr. Rufe in der anderen Welt, eine große Schlange …«
Er lächelte verständnisvoll. »Ich will es dir erklären …«
»Das hoffe ich.«
»… wenn du mich ausreden läßt.«
Cendrine nickte knapp.
»Die Große Schlange kommt aus der Wüste, dorther, wo nicht einmal die San hingehen. Es ist heiß dort, unendlich heiß, und kein Mensch kann dort leben. Jeder Atemzug
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