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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sattel einer Mähre zu gewöhnen.
    Sicher, auf einem Pferd wäre er schneller gewesen als mit dem Einspänner, den er jetzt durch die Senken der äußeren Auasberge lenkte. Der ungepolsterte Kutschbock war gleichfalls kein Paradies für seine Knochen, aber er hatte aus irgendeinem Grund mehr Vertrauen dazu als zu einem unberechenbaren Gaul. Die alte Magdalena, die Stute, die den Wagen zog, hatte er gekauft, als sie noch ein Fohlen war, und eigentlich hatte er nie einen Grund gehabt, ihr zu mißtrauen. Nichtsdestotrotz blieben ihm Pferde suspekt, Magdalena so sehr wie jedes andere. Und er würde immer den Sitz auf einem Kutschbock jenem im Sattel vorziehen.
    In gestrecktem Galopp hätte er das Anwesen der Kaskadens wohl längst schon erreicht. So aber schaukelte er noch immer zwischen den verwüsteten Hängen einher und blickte nachdenklich zu den Vogelschwärmen auf, die ihm von Osten entgegenflogen. In Windhuk hatte es geheißen, die Gegend sei nun, da die größte Fluchtwelle vorüber war, einigermaßen sicher. Auf offizieller Seite hatte das natürlich niemand bestätigen wollen, aber Haupt wäre so oder so aufgebrochen. Adrian war am Tag zuvor in der Stadt gewesen – ohne ihm wie üblich einen Besuch abzustatten –, also hatte auch er den Weg heil überstanden.
    Nein, Haupt hatte keine Angst vor wilden Tieren. Vielmehr bereitete ihm die Beschaffenheit des Bodens Sorgen. Das sandige Erdreich war derart aufgewühlt, daß die Räder des Pferdewagens sich alle paar Meter festzufahren drohten. Und selbst wenn er gewollt hätte, wäre es nicht möglich gewesen, auf Magdalena zu reiten – er hatte keinen Sattel dabei, und sie würde ihn binnen weniger Sekunden abwerfen, wenn er sie ungesattelt bestieg. Dieser Gedanke ärgerte ihn abermals so sehr, daß er sich schwor, nach Magdalena kein neues Pferd mehr zu kaufen. Immer vorausgesetzt, es war nicht sie, die ihn überlebte.
    Erst hatte es ihn gewundert, daß Adrian ihn am Tag zuvor nicht aufgesucht hatte. Das war ungewöhnlich und unhöflich noch dazu. Dann aber war ihm eine Ahnung gekommen, und je länger er darüber nachdachte, desto mehr angst machte sie ihm. Angst um den Jungen.
    Haupt hatte seit Jahren versucht, ihn vor seinen Fähigkeiten zu behüten, ihm klarzumachen, daß nichts Gutes aus dieser Begabung erwachsen konnte. Als er bemerkt hatte, daß sich die San – allen voran dieser Qabbo – um den kleinen Adrian Kaskaden bemühten, war er eingeschritten. Er hatte nicht zulassen dürfen, daß dem Jungen das gleiche Schicksal widerfuhr, das schon das Leben von Haupts eigenem Bruder gefordert hatte.
    Wilhelm hatte bitter dafür bezahlen müssen, daß er sich mit den Eingeborenen eingelassen hatte. Aus der Trance, in die sie ihn versetzt hatten, war er nicht mehr erwacht. Kurz darauf war einer der Männer, die während der Zeremonie anwesend gewesen waren, zu Haupt gekommen, um ihm zu erzählen, Wilhelm sei während seiner Geistreise in der anderen Welt zurückgeblieben und werde nun für alle Ewigkeit dort umherirren. Haupt hatte den viel schwächeren San verprügelt und ihm dabei – unabsichtlich? – den Schädel eingeschlagen. Weil es für San in Windhuk nicht die nötige medizinische Versorgung gab, war der Mann drei Tage später an seiner Verletzung gestorben.
    Haupt hatte all die Tage am Bett des Sterbenden gewacht, trotz der Feindschaft, mit der ihm die Verwandten und Freunde des Mannes begegneten. Niemand hatte gewagt, die Hand gegen ihn zu erheben – als Pfarrer war er einer der mächtigsten weißen Männer Windhuks –, aber ihre Blicke waren schmerzhafter gewesen als jeder Schlag oder Messerstich. Als der Verwundete seinen letzten Atemzug tat, hatte für Haupt längst festgestanden, daß er sein Priesteramt aufgeben würde. Seit diesem Tag hatte er keine Kirche mehr betreten und sich nur noch um das Geschäft seines Bruders gekümmert. Sein Ansehen unter den Deutschen war dadurch ruiniert worden – weit mehr als vom Tod des San, der umgehend von den Behörden vertuscht worden war –, aber seinem Seelenheil war Haupt dadurch vielleicht ein wenig nähergekommen. Er glaubte nicht mehr an den Sinn von Beichte und Sühne, er vertraute auf eine Wiedergutmachung durch Taten. Der Umstand, daß er Adrian Kaskaden damals wahrscheinlich das Leben gerettet hatte, war eine davon.
    Er würde nicht zulassen, daß all seine Mühen um den Jungen zunichte gemacht wurden. Das Auftauchen dieses reizenden jungen Dings, Cendrine Muck, hatte Adrian völlig

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