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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dem Haus gestürzt kam und mit einem Gewehr seines Vaters zweimal in die Luft feuerte, hatte sich der Auflauf der Affen rund um Haupt und den Kadaver des Pferdes schon aufgelöst. Die Flucht ging weiter. Nach Westen, zur See, in Sicherheit.
    Der Hauptansturm war vorüber, und die vereinzelten Nachzügler, die sich jetzt noch über das Dach und an den Fassaden hinabhangelten, waren durch die Schüsse zu verängstigt, als daß sie Adrian attackiert hätten.
    Ohne nachzudenken stürmte er vorwärts, vorbei an den blutigen Knochen der Stute, dorthin, wo er Haupt hatte fallen sehen. Ein roter Stern glänzte auf dem zerfurchten Kies der Zufahrt, mit langen dünnen Spitzen, die meterweit in alle Richtungen wiesen. Sonst war nichts übriggeblieben. Keine Gebeine, kein Fetzen Fleisch. Die Paviane halten die Reste ihrer Beute mitgeschleppt.
    Adrian schleuderte das Gewehr beiseite, fiel schreiend auf die Knie und ließ den blutigen Kies durch die Finger rieseln, heulend, flehend, bis irgendwann Titus kam, einen Arm um ihn legte und ihn durch den aufkommenden Sturm zurück zum Haus führte.

KAPITEL 4
    »Die Stadt!«
    Qabbos Stimme riß Cendrine aus dem einschläfernden Trott des Wüstenritts. Alarmiert stellte sie sich im Sattel auf und blinzelte in die flirrende Helligkeit.
    Sie sah nichts als Dünen. Weißglühendes Auf und Ab aus Sand erstreckte sich bis zum Horizont. Die Spur von Qabbos Kamel, das etwa zehn Meter vor ihr trabte, war die einzige Unebenheit im ansonsten unberührten Wüstensand. Von einer Stadt war nichts zu sehen, nichts, das auf die Überreste einer Zivilisation schließen ließ.
    »Hier ist gar nichts«, knurrte sie und sank zurück in den Sattel.
    »Du mußt nur genau hinschauen«, forderte Qabbo sie auf.
    Ungehalten wischte sie sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, und diesmal ließ sie ihren Augen genug Zeit, sich an das gleißende Licht zu gewöhnen. Ganz langsam, fast als wehrten sie sich gegen die fremden Blicke, schälten sich Umrisse und Formen aus dem weißen Sand, Kanten und Spitzen, keine höher als eine Armlänge. Sandstürme hatten sie abgeschliffen und ihre Oberflächen zerfurcht, doch je länger Cendrine hinsah, desto deutlicher erkannte sie die kupferne Färbung des Gesteins.
    Henoch. Nach all den Wochen war sie endlich am Ziel. Doch ihre Enttäuschung hätte kaum größer sein können. Was war von der Stadt des Kain übriggeblieben? Nur ein paar Steinblöcke, die tief im Sand begraben lagen.
    »Du bist noch nicht am Ziel«, widersprach Qabbo.
    Sie störte sich längst nicht mehr daran, daß er nach eigenem Gutdünken ihre Gedanken las. »Du hast gesagt, dies sei die Stadt.«
    »O ja. Die Stadt, die du Henoch nennst. Wir stehen an ihrem äußeren Rand. Was du hier siehst, sind die Spitzen und Zinnen ihrer Türme. Aber Henoch ist nicht dein Ziel. Unser Weg ist noch nicht zu Ende.«
    »Wie meinst du das?« fragte sie irritiert.
    »Horch doch! Was hörst du?«
    Im ersten Moment glaubte sie, sie sollte auf die Stille der Wüste lauschen. Dann aber verstand sie. Er meinte die Frauenstimme in ihren Gedanken. Sie hatte sich bereits so daran gewöhnt, daß sie die Rufe kaum noch beachtete. Obwohl die Stimme jetzt sehr nah klang, lauter, intensiver und beinahe noch fordernder, schien sie doch nicht aus den Ruinen zu kommen.
    Qabbo hatte recht. Die Suche ging weiter.
    »Sag mir endlich die Wahrheit, Qabbo! Wohin führt uns diese Reise?« Ihr Argwohn war geschwächt von Müdigkeit und allmählich einsetzendem Gleichmut. »Du hast nie gesagt, daß wir einen anderen Ort als Henoch suchen.«
    »Du hast nie danach gefragt«, gab er listig zurück.
    »Du solltest nicht versuchen, mich auf den Arm zu nehmen.«
    »Das liegt nicht in meiner Absicht.«
    Sie trieb ihr Kamel an seine Seite. »Was soll das? Warum verschweigst du mir etwas?«
    Der San schüttelte den Kopf. »Du bist die weiße Schamanin. Ich kann keine Geheimnisse vor dir haben. Deine Macht ist der meinen tausendfach überlegen.«
    »So?« entgegnete sie scharf. »Warum spüre ich dann nichts von dieser unendlichen Macht?«
    Das entsprach natürlich nicht ganz der Wahrheit. Sie fühlte die Kraft in ihrem Inneren sehr wohl, erst recht seit dem Initiationsritus der Weisen. Sie lebte noch, allein das war Beweis genug – niemals sonst hätte sie eine solche Reise durch die Kalahari durchgestanden, sie wäre längst an Entkräftung oder Wahnsinn gestorben. Aber Tatsache war auch, daß sie keinen Hinweis darauf fand, wodurch ihre Fähigkeiten

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