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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Nacht bei den Kaskadens zu verbringen. Er wußte, daß Madeleine Kaskaden ihn nicht mochte und seine Entscheidung, den Laden seines toten Bruders zu übernehmen, nicht akzeptierte. Priester und Damenunterwäsche waren für sie zwei Dinge, die nicht in derselben Welt existierten.
    Die Bewegung auf dem Dach wiederholte sich, jetzt weiter links, oben auf dem Nordflügel. Jemand huschte hinter einen der Kamine. Doch als er Magdalena anhalten ließ und angestrengt zu den Schindeln hinaufstarrte, sah er nichts mehr, genau wie vorhin.
    Er wollte das Pferd gerade weitertreiben, den aufgewühlten Weg entlang zum Kieshof im Zentrum des Anwesens, als die Dächer des Hauses auf einen Schlag zum Leben erwachten. Blitzschnell ergoß sich von der anderen Seite der Giebel eine Flut grauer Leiber über die Schindeln. Schlanke Gestalten kletterten behende um Schornsteine und Gauben, hangelten sich an Schmuckzinnen und Vorsprüngen entlang und begannen an der Fassade herab ihren Abstieg. Als Haupt sich in Panik umschaute, sah er, daß auch rechts und links der Nebenflügel Bewegung entstand. Zahllose flinke Wesen strömten um die Ecken des Hauses und tobten durch die ehemaligen Gärten Richtung Westen. Wildes Geschnatter ertönte aus der pelzigen Masse, keifende Laute, feindselig und tückisch.
    Paviane! Hunderte, Tausende, und immer noch schien sich ihre Zahl zu vervielfachen. Manche schlugen böswillig nach Artgenossen, die ihnen zu nahe kam, stürzten sich bei der leichtesten Berührung aufeinander und rollten als kreischende, strampelnde Knäuel über den Boden.
    Magdalena geriet in Panik, bockte, wieherte schrill und versuchte, im Geschirr des Wagens auf die Hinterläufe zu steigen. Das ganze Gefährt drohte einen Augenblick lang umzukippen. Haupt reagierte instinktiv. Abrupt ließ er sich vom Kutschbock zur Seite fallen, kam schmerzhaft am Boden auf und rollte sich weg. Keine Sekunde zu früh. Im selben Moment wieherte das Pferd noch einmal ohrenbetäubend auf, dann ging es samt dem Wagen durch. Blindlings preschte es auf den Kieshof des Anwesens zu, auf dem es von aufgebrachten Pavianen nur so wimmelte. Auch in allen anderen Richtungen schloß sich der Kreis der Tiere, zähnefletschend, mit den Klauen um sich schlagend, zischend und brüllend.
    Haupt sah gerade noch, wie gleich drei der angriffslustigen Affen auf den Rücken der galoppierenden Stute sprangen. Einer wurde abgeworfen, die beiden anderen aber gruben ihre fingerlangen Zähne tief ins Fleisch des Pferdes. Magdalena schrie jetzt wie ein Kind, versuchte kehrtzumachen, wurde vom Gewicht des kippenden Wagens umgerissen und prallte mit scharrenden Hufen auf den Boden. Innerhalb eines Sekundenbruchteils kamen die Paviane über sie, begruben sie unter einer Woge haariger Leiber. Haupt sah noch, wie die ersten Fleischstücke aus der tobenden Stute gerissen wurden, dann waren plötzlich so viele Affen über ihr, daß das pelzige Gewimmel das Blutbad verbarg.
    Haupt kämpfte sich schwerfällig auf die Füße, vorgebeugt, mit hängenden Armen, gelähmt von dem, was um ihn geschah. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sein Blick huschte über die Fenster des Anwesens, und ganz kurz glaubte er, hinter einer Scheibe Adrians Gesicht zu sehen, Mund und Augen aufgerissen vor Entsetzen.
    Haupt schrie um Hilfe, doch alles, was sein Brüllen bewirkte, war, daß die Paviane noch schneller auf ihn aufmerksam wurden. Innerhalb weniger Augenblicke rückten sie von allen Seiten auf ihn zu, mit vorstoßenden Armen und schnappenden Klauen, die gewaltigen Gebisse kampflustig entblößt, in den Augen Hunger und Zerstörungswut.
    Einen Augenblick lang schien die Zeit stehenzubleiben, und der Ring aus Affen rund um Haupt erstarrte. Sein ganzer Körper brannte, jedes Glied tat so weh, als hätte es Feuer gefangen. Seine Nerven reagierten bereits auf das, was kommen würde, bevor es tatsächlich eintrat. Er spürte, wie sich die gebleckten Fänge in Fleisch und Muskeln verbissen, spürte, wie sie zerrten und rissen, seine Haut und Adern und Innereien zerfetzten. Er spürte all das, bevor ihn das erste Tier berührte, bevor sie ihn zurück auf den Boden warfen.
    Und dann, als es tatsächlich soweit war, als die Zeit nach ihrem kurzen Stolpern wieder in Fluß geriet und die Paviane über ihn herfielen, da war er innerlich schon tot, und obgleich das sein Sterben nicht schneller und den Schmerz nicht erträglicher machte, dachte er noch: Wie eigenartig, wie sonderbar …
    Als Adrian kurz darauf aus

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