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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sich an ihn, schnappten mit den Zähnen nach ihm und gaben sich alle Mühe, ihm die Augen auszukratzen.
    Ehe er sich’s versah, stürzte er unter ihrer Last nach hinten und wurde unter den beiden Furien begraben. Er spürte, wie sein linkes Augenlied aufplatzte, als Salome ihre kleine Faust in sein Gesicht hieb. Er schrie vor Schmerz und schleuderte sie mit aller Kraft von sich. Das Mädchen flog zurück und prallte mit dem Hinterkopf gegen einen der Steinstapel. Benommen blieb es liegen.
    Lucrecia nahm keine Notiz vom Schicksal ihrer Schwester. Ihre rechte Hand umklammerte Adrians Ohr, riß daran. Adrian blieb keine andere Wahl, als sie an ihrem langen Haar zu packen und zurückzuzerren. Ihre Kiefer schnappten nach seinem Unterarm und seinen Fingern, trotzdem gelang es ihm, sie von sich zu stoßen. Auch sie fiel gegen Steine, doch der Aufprall hielt sie nicht so lange auf wie ihre Schwester. Inzwischen kam Salome allmählich wieder zu sich. Ihre Augenlider flatterten, ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
    Er mußte fort von hier. Die beiden mochten nur Kinder sein, trotzdem hatte er keine Chance gegen sie. Gemeinsam waren sie stärker als er, zumal sie keine Hemmungen kannten. Er würde niemals eines der Mädchen ernsthaft verletzen können – selbst Salomes kurze Ohnmacht war keine Absicht gewesen –, wogegen die Zwillinge ohne jeden Skrupel vorgingen. Sie wollten seinen Tod. Wäre es irgendwie möglich gewesen, hätte er sie getrennt voneinander eingesperrt und gehofft, daß sie sich nicht selbst etwas zuleide taten. So aber konnte er nur die Flucht ergreifen. Vielleicht würden sie ihn verfolgen; das würde sie zumindest davon abhalten, sich gegenseitig umzubringen.
    Er gab Lucrecia einen Stoß, der sie zu Boden taumeln ließ, dann wirbelte er herum und rannte los, quer über den südlichen Dachboden. Aufgrund seiner Taubheit konnte er nicht hören, ob sie ihm folgten. Er war schneller als sie, soviel zumindest stand fest.
    Bald erreichte er die Speichertür und lief durch den Korridor der Gesindeunterkünfte zur Treppe. Erst als er die Stufen erreichte, blickte er sich kurz um. Lucrecia bog in diesem Moment um die Ecke am Ende des Flurs, dicht gefolgt von Salome. Das Blut auf Lucrecias Gesicht sah aus wie eine primitive Kriegsbemalung.
    Er stürmte die Treppen hinunter und überlegte kurz, ob er unten die Tür zuschließen sollte. Er entschied sich jedoch dagegen, weil die Mädchen dann gewiß wieder übereinander hergefallen wären. Solange sie ihn jagten, schienen sie einander nicht wahrzunehmen.
    Wenn er sie nur voneinander trennen könnte!
    Er hetzte durch die Flure des ersten Stockwerks, vorbei an den wenigen noch brennenden Öllampen. Er hoffte inständig, daß die kleinen Biester nicht auf die Idee kommen würden, damit das Haus in Brand zu stecken. Doch ihre Wut schien sich nur auf andere Menschen zu erstrecken, nicht auf Gegenstände. Nicht einmal Selkirk hatte damals den Versuch gemacht, das Haus zu zerstören.
    Außer Atem sprang Adrian die Stufen ins Erdgeschoß hinunter. Er hätte einiges dafür gegeben, zu wissen, wo seine Mutter sich im Augenblick aufhielt. War sie noch im Musikzimmer bei der Leiche ihres Mannes? Oder streifte sie durch die leeren Räume, auf der Suche nach Adrian oder Johannes, nach irgendwem, an dem sie ihre Mordlust auslassen konnte?
    Der Gedanke an den Butler durchfuhr seinen Körper wie eine Hitzewelle. Instinktiv schlug er den Weg zur Küche ein, um nachzusehen, ob die Tür der Vorratskammer den Schlägen des San standgehalten hatte.
    Als er durch die Tür sprang, sah er seine Mutter, die schreiend am Boden lag, und Johannes, der mit einem blutigen Messer auf sie einstach; der Butler wandte Adrian den Rücken zu. Die Tür der Vorratskammer war zerborsten, ein hölzernes Haifischmaul.
    Adrian überlegte nicht. Er packte eines der Fleischermesser von der Kochtheke und rammte es dem Butler in den Nacken. Johannes’ schmächtiger Körper erstarrte, sein eigenes Messer fiel ihm aus der Hand. Dann sackte er zur Seite.
    Adrian war stocksteif. Die Erkenntnis, einen Menschen getötet zu haben – und es war so leicht, so unglaublich leicht! –, drang nur langsam zu ihm durch. Er konnte nicht erkennen, wie oft Johannes auf seine Mutter eingestochen hatte. Er sah zwei Wunden an ihrer Schulter, eine weitere an ihrem Oberarm. Ihr Hemd war blutig, aber das Messer schien sie nicht in die Brust oder den Bauch getroffen zu haben. Ihr Blick war starr auf ihn gerichtet, und ihr Mund

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