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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Zimmer des Hauses geisterte, auf der Suche nach jemandem. Auf der Suche nach … Cendrine!
    Einen Augenblick lang schien sich die fremde Macht in seinem Geist einzunisten, ihn zu erforschen, dann zog sie sich zurück. Adrians Blick klärte sich wieder, und erneut sah er die Gestalt durch die Wüstenei des Tals auf das Haus zuschreiten. Sechshundert, siebenhundert Meter noch, eigentlich zu weit, um sie durch die Sandwirbel mit bloßen Augen zu erkennen. Trotzdem konnte er den Fremden sehen, ihn spüren. Ihn fürchten.
    Adrian riß sich vom Fenster los und stürmte die Dienstbotentreppe hinauf. Hoch in den zweiten Stock, den einzigen Ort im Haus, den er noch nicht durchsucht hatte.
    Alle Dienstbotenzimmer waren leer.
    Die Tür zum Dachboden knirschte, als er sie aufstieß.
    ***
    Die Silhouetten blieben einige Schritte vor ihr stehen, ein finsterer Mob, der den Tunnel verstopfte. Cendrine war derart abgelenkt, daß die Verbindung zu Qabbos Geist zusammenbrach. Es war besser so. Für den Augenblick hatte sie genug erfahren.
    Aus den Bruchstücken, die sie in Qabbos Gedanken aufgeschnappt hatte, und dem, was sie schon wußte, fügte sich allmählich ein Bild zusammen. Sie fürchtete die Männer nicht, die sich vor ihr im Tunnel drängten. Sie würden ihr kein Haar krümmen. Cendrine war zu wichtig für sie.
    »Cendrine!« Qabbo rief sie jetzt nicht mehr kraft seiner Gedanken. Seine Stimme echote durch den Tunnel, und einige der Umrisse zuckten vor Ehrfurcht zusammen.
    Sie drehte sich einfach um und ging weiter auf den Feuerschein zu. Hinter ihr rückte die Menge auf, aber niemand wagte, sie zurückzuhalten. Qabbo rief etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand, die ihr aber zischelnder und hastiger zu sein schien als die der San.
    Allmählich durchschaute sie, was hier geschah, wer diese Menschen waren. Sie trug den Schlüssel für die Lösung schon seit Wochen mit sich herum. Nanna hatte ihr alles erzählt, was sie wissen mußte. Aber erst jetzt, als sie dort angelangt war, wo sie nie hätte sein sollen, erkannte sie die Zusammenhänge.
    Vor ihr öffnete sich eine Halle, hoch wie das Innere einer Kathedrale, von Säulen flankiert und vom Schein zahlloser Fackeln in zuckendes Licht getaucht. Allein die Größe raubte ihr den Atem. An den Wänden, halb hinter den Säulen verborgen, standen weitere Menschen, klein wie die San, aber nicht ganz so drahtig. Ihre Gesichter wirkten knochiger, die Stirnpartien waren vorgewölbt. Die meisten trugen kurze, einer Tunika ähnliche Gewänder, die so gar nicht zu den Bekleidungsgewohnheiten der übrigen Völker Südwests paßten. Viele hatten ihre Gesichter und Arme bemalt, mit gelben und weißen Flammenmustern. Die frei gebliebene Haut war sehr dunkel, weniger braun als grau, fast schwarz. Eine vergleichbare Färbung hatte Cendrine noch nie bei einem Menschen gesehen. Sie fragte sich, ob diese Männer und Frauen überhaupt jemals ins Sonnenlicht gingen.
    Qabbo trat lautlos von hinten an sie heran. »Du weißt, wer sie sind, nicht wahr?«
    Sie gab keine Antwort. Ihr Blick irrte weiter durch die Halle, fort von den schweigenden Menschen zu etwas, das in weiter Entfernung vor ihr stand und in dessen Umkreis keine Fackeln brannten. Erst glaubte sie, es sei eine weitere Säule, ungleich mächtiger als die anderen, doch dann erkannte sie, daß es ein Baumstamm war. Er mochte einen Durchmesser von mehr als zehn Metern haben, und das Wurzelgeflecht, das an seinem Fuß auseinanderfächerte, ähnelte dem Dickicht eines Urwalds.
    Zwischen ihr und dem Baum, dessen Krone hoch oben in der Finsternis verschwand, lagen etwa hundert oder hundertfünfzig Meter, aber sie sah keine Wand dahinter, deshalb nahm sie an, daß der Baum das Zentrum des Tempeldoms bildete.
    Wie konnte ein solches Bauwerk die Jahrtausende überdauert haben, begraben vom Sand der Wüste? Was für Kräfte walteten hier, daß die Säulen dem titanischen Druck solcher Decken standhielten?
    »Die Erste Rasse war schon immer hier«, sagte Qabbo. »Vor den Herero und Nama und Damara, sogar vor den San.«
    Cendrine nickte gedankenverloren. »Sie behütet den Lebensbaum.«
    »Den Lebensbaum …«, wiederholte er, aber es klang resigniert. Dann setzte er leise hinzu: »Dieser Baum lebt schon lange nicht mehr.«
    Sie sah ihn erstaunt an. »Was –«
    Qabbo schnitt ihr mit einer auffordernden Bewegung das Wort ab.
    »Geh hin. Sieh ihn dir an. Du wirst es verstehen.«
    Erst zögernd, dann immer schneller durchquerte sie die Halle. Nach

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