Göttin der Wüste
strömte zwischen Hütten und Schuppen hervor und schloß sich ihr an. Cendrine unterdrückte den Reflex, sich zu ihnen umzudrehen und mit ihnen zu sprechen – sie hätten sie wohl ohnehin nicht verstanden –, und ging statt dessen schnurstracks weiter.
Ein junges Mädchen, das sein Haar zu zahllosen Zöpfen geflochten hatte, erhob sich von seinem Platz am Feuer und vertrat ihr in einiger Entfernung den Weg. Es wartete, bis Cendrine mit der kichernden Kinderschar im Rücken bis auf zwei Meter herangekommen war, dann lachte es plötzlich laut auf und eilte mit schnellen Schritten zurück zum Lagerfeuer. Wenn das ein Scherz sein sollte, verstand Cendrine ihn nicht. Sie vermutete, daß das Mädchen sie nur einschüchtern wollte, und sie mußte sich eingestehen, daß der Versuch gelungen war.
Die Kinder blieben zurück, als sie das Viertel verließ. Einige riefen ihr etwas in der schrillen, hastigen Sprache der San hinterher, aber sie schaute sich nicht um. Diese Menschen beunruhigten sie, trotz ihrer augenscheinlichen Friedfertigkeit. Sie war dankbar, daß die meisten Männer um diese Zeit bei der Arbeit waren und sie fast nur Frauen und Kinder angetroffen hatte. Wären ihr Erwachsene statt Kinder gefolgt, hätte sie wohl kaum eine solche Ruhe bewahrt.
Dabei war sie im Grunde überzeugt, daß kein San ihr ein Haar gekrümmt hätte. Es war die Fremdartigkeit dieser Menschen, die sie fürchtete, nicht so sehr die Vorstellung, sie könnten ihr tatsächlich etwas antun. Sie fand diese Einsicht ein wenig beschämend, konnte sich aber nicht dagegen wehren.
Cendrine lief auf demselben Weg zurück zum Bahnhof, den sie gekommen war. Sie war selbst überrascht, daß sie die Straßen wiedererkannte, sah doch eine auf den ersten Blick aus wie die andere: riesige sandige Weiten, flankiert von den weißen Fassaden der Kolonialbauten. Die Häuser standen hier nicht ganz so weit auseinander wie in Swakopmund, zudem gab es immer wieder Baumzeilen und Gärten, die den Anblick ein wenig anheimelnder machten. Dennoch konnte sie sich nur schwer vorstellen, hier zu leben. Das Haus der Kaskadens war ein künstliches Stück Europa, und auch wenn ihr der Lebensstil der Familie fremd war, begann sie allmählich, sich dort zu Hause zu fühlen. Hier aber, in diesem Nest, halb Wüstenfort, halb Bauerndorf, spürte sie nur zu deutlich, daß sie ein Eindringling blieb. Eine Fremde durch und durch.
Sie wartete eine Weile auf dem sonnendurchglühten Platz vor dem Bahnhof, bemüht, keinen Blick auf den Laden mit der unheimlichen Wachsfigur zu werfen. Bald schon entdeckte sie erleichtert, wie sich Ferdinand auf seinem Pferdegespann näherte. Die Ladefläche war mit Kisten und Paketen beladen, und sie wunderte sich, wo er all die Sachen herbekommen hatte, da doch immer noch alle Geschäfte geschlossen waren.
»Sie müssen neben mir sitzen«, sagte er, als sie ratlos auf den beladenen Wagen blickte.
Sie zuckte die Achseln und ließ sich von ihm auf den Kutschbock ziehen. Er machte Platz für sie, ließ das Gewehr aber zwischen ihnen liegen.
Während der Rückfahrt kam ihr allmählich zu Bewußtsein, daß sie gegen die Anweisung ihrer Dienstherrin verstoßen hatte. Sie hatte keine neuen Kleider gekauft, nicht einmal einen Hut oder eine Halsschleife. Die Ausrede, alle Geschäfte seien geschlossen gewesen, war kindisch. Ferdinand hätte gewartet, wenn sie ihn darum gebeten hätte. Die Wahrheit war vielmehr, daß ihre Abneigung gegen Madeleines Befehl die Oberhand gewonnen hatte, und ihr war nicht einmal unwohl dabei.
Als sie nach zweistündiger Fahrt durch die Ausläufer der Berge und das Weintal endlich das Anwesen erreichten, beschloß Cendrine, den Augenblick der Konfrontation mit Madeleine so lange wie möglich hinauszuzögern. Es war keine durchdachte Entscheidung, eher ein Vertrauen auf ihre Instinkte.
Auf dem Kieshof verabschiedete sie sich von Ferdinand und sah zu, wie einige Diener die Güter vom Wagen luden. Sie blieb so lange stehen, bis das Pferdegespann über den knirschenden Kies davonschaukelte, in Richtung der Ställe hinter dem Nordflügel.
Dann drehte sie sich mit klopfendem Herzen um und ging hinaus in die Parkanlagen. Park war ein irreführender Begriff für die Gärten des Hauses Kaskaden. Es gab keine Hecken, die zu Figuren oder geometrischen Formen geschnitten wurden, nur lange Reihen von braunblättrigen Sträuchern. Der dürre Rasen war im westlichen Teil der Anlage, bis hin zum Torhaus, in abgestuften Terrassen angelegt,
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