Göttin der Wüste
eine gute Lehrerin sind, Fräulein Muck. Mein Mann hat mich davon überzeugt, und die Kinder mögen Sie. Aber es steht wohl nicht in Ihrem Ermessen, zu entscheiden, was für Salome und Lucrecia gut ist oder nicht. Ich bin die Mutter dieser Mädchen, und ich erwarte, daß meine Wünsche hinsichtlich ihrer Ausbildung respektiert werden. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
Cendrine bemühte sich um Gleichmut, aber ihre Augen verrieten, wie aufgebracht sie war. Dennoch sagte sie so ruhig wie möglich: »Natürlich.«
»Gut.« Madeleine wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber wieder um und musterte Cendrine vom Scheitel bis zur Sohle. »Ich wollte Ihnen schon länger anbieten, sich neu einzukleiden. Auf unsere Kosten, versteht sich.«
Cendrine versuchte, diesen neuerlichen Schlag gelassen hinzunehmen. »Erscheint Ihnen meine Kleidung nicht standesgemäß?«
»Oh, standesgemäß ist sie zweifellos. Aber Sie befinden sich hier nicht mehr in Ihrer Gouvernanten-Schule. In einem Haus wie diesem sollten Sie einen gewissen Stil pflegen.«
»Ihren Stil, meinen Sie.« Schon ihre Ausbilderinnen hatten sie gescholten, daß sie zu widerborstig sei. Spätestens jetzt war Cendrine klar, daß sie recht gehabt hatten.
»Tragen Sie, was Sie wollen, das ist Ihre Entscheidung«, erwiderte Madeleine sehr ruhig. »Aber man sollte Ihrem Kleid die Jahre, die es auf dem Buckel hat, nicht schon von weitem ansehen können.«
Cendrine trug das Kleid, das sie sich damals von ihrem ersten eigenen Geld gekauft hatte. Sie hatte es anderthalb Jahre lang gepflegt und mit Argusaugen gehütet, und es sah ohne jeden Zweifel noch immer aus wie neu. Und doch stellte sich diese Frau nun vor sie hin, in ihren Reithosen und ihrer Männerweste, umweht vom Gestank der Ställe, und ereiferte sich darüber. Es war einfach so ungerecht!
»Wie Sie wünschen, Frau Kaskaden«, entgegnete sie leise.
»Sie glauben, daß ich Sie schikanieren will, nicht wahr?«
Cendrine gab keine Antwort.
»Ich meine es nur gut mit Ihnen. Fahren Sie mit Ferdinand nach Windhuk, heute noch.« Aus ihrer Westentasche zog Madeleine ein gerolltes Bündel Geldscheine. Sie hatte also schon vorgehabt, Cendrine wegen ihrer Kleidung zu rügen, bevor Sie hereingekommen war. Das machte den Vorfall fast noch unerträglicher.
»Hier, nehmen Sie das«, sagte Madeleine und drückte Cendrine das Geld in die Hand. »In der Stadt gibt es ein Geschäft mit einigen sehr hübschen Stücken. Es sollte auch für Sie etwas dabeisein. Geben Sie alles aus. Kaufen Sie zwei, drei Kleider, ganz wie Sie mögen.« Sie ging zur Tür und fügte, ohne sich umzudrehen, hinzu: »Und denken Sie daran: Keine Philosophen mehr in diesem Haus. Keine toten und erst recht keine lebendigen.«
***
Cendrine saß im hinteren Teil des offenen Pferdewagens und starrte schwermütig über die öde Savannenlandschaft am Fuße der Auasberge. Ferdinand, ein ungewöhnlich hünenhafter Schwarzer – kein San, wahrscheinlich ein Herero – hielt auf dem Kutschbock die Zügel und trieb die Tiere den Schotterweg entlang. Neben ihm lag ein Gewehr, und die ausgebeulte Stelle an seinem Jackett oberhalb der Hüfte verriet, daß er außerdem einen Revolver trug.
Der Sommer der Südhalbkugel, von Oktober bis April, war seit drei Monaten vorüber, und noch immer war es angenehm warm, wenn auch nicht heiß. Der Wind blies die Trockenheit der nördlichen Wüsten heran, und Cendrine spürte, daß ihre Lippen rauh und rissig wurden. Immer wieder wehte ihr feiner Staub in die Augen, der Gott weiß woher stammen mochte, aus der Kalahari vielleicht, oder aus den Sandebenen Angolas. Die Sonne schien ungemein grell und verschmolz alle Farben zu einem häßlichen Ocker. Sogar die wenigen Pflanzen wirkten krank und vertrocknet.
In der Ferne erkannte Cendrine Windhuk, jenseits des breiten Ringes aus Weiden und Ackerflächen. Sie waren seit anderthalb Stunden unterwegs, und von der schaukelnden Fahrt taten ihr alle Glieder weh. Sie konnte sich nur schwerlich vorstellen, wie Madeleine Kaskaden auf einer dieser gräßlichen Holzbänke Platz nahm und darauf über Geröllfelder und unbefestigte Wege holperte. Andererseits lebte Madeleine schon viele Jahre hier, und sie war vertraut mit der Mühsal, die dieses Land einem auferlegte; deshalb gewiß die Reithosen und lässigen Blusen, die sie tagsüber trug.
Aber Kleidung war kein Thema, an das Cendrine in diesem Augenblick denken wollte. Tatsächlich schob sie es so weit wie möglich von sich. Die
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