Göttin der Wüste
fragte er vorsichtig, als fürchtete er, seine Stimme könne sie erschrecken.
Sie öffnete den Mund, um zu sprechen, doch kein Laut drang über ihre Lippen. Sie versuchte sich zu räuspern, hustete statt dessen mehrmals kräftig und spürte ein heftiges Kratzen im Hals.
»Ich habe geträumt«, brachte sie heiser hervor.
Adrian starrte auf ihre Lippen und nickte. »Sie waren bewußtlos. Ich sitze schon eine ganze Weile neben Ihnen.«
Sie wollte ihn fragen, warum er niemanden geholt hatte, der sich auf Arzneimittel verstand – es gab im Haus zwei Dienerinnen, die eine Weile als Krankenschwestern in Windhuk gearbeitet hatten und jetzt die Hausapotheke verwalteten –, aber dann überkam sie die Gewißheit, daß sie ohnehin nur wieder eine seiner mysteriösen Andeutungen zur Antwort bekommen hätte.
»Was haben Sie getan?« fragte sie. »Wie haben Sie mich geweckt?«
Er streichelte zärtlich über die Oboe. »Das war die Musik. Die hat Sie zurückgeholt.«
»Von wo?«
»Sagen Sie es mir.«
»Ich weiß es nicht.«
Irritiert schüttelte sie den Kopf. Es fiel ihr schon jetzt schwer, sich an Einzelheiten zu erinnern. »Egal, es war nur ein Traum.«
Sein Nicken kam ein wenig zu hastig. »Natürlich, nur ein Traum.«
»Sagen Sie jetzt bitte nicht, es läge am Klima.«
Adrian lachte auf. »Sie meinen, das sei keine gute Erklärung?«
»Nicht für das, was ich gesehen habe.«
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Sie reden, als wüßten Sie, was mit mir passiert ist.«
»Sie haben das Bewußtsein verloren. Das ist alles.«
»Ja«, sagte sie und versuchte sich aufzusetzen. Er griff nach ihrem Oberarm und half ihr hoch. Cendrine war überrascht, wie geschwächt sie war. Fast so, als wäre sie wirklich gerannt und gerannt und – »Wollen Sie zurück zum Haus gehen?« unterbrach Adrian ihren Gedankenfluß.
»Geben Sie mir noch einen Moment.«
»Sicher. Ruhen Sie sich aus.«
Ihr Blick wanderte wieder an der Wand des Termitenbaus empor. Der Schatten der Äste, die daraus hervorragten, lag auf Adrians Gesicht wie ein Gitter.
»Warum hat man dieses gräßliche Ding nicht abgetragen?« wollte sie wissen. »Fürchten Ihre Eltern nicht, die Termiten könnten sich am Haus zu schaffen machen?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Eingeborenen bringen den Termiten Opfer.«
Sie starrte ihn einige Sekunden lang verunsichert an. »Opfer?« wiederholte sie erstaunt.
»Holz«, sagte er. »Äste von Bäumen. Sträucher aus den Gärten. Alles, was die Termiten fressen oder beim Bau ihrer Behausung verwenden können.«
Ein sonderbarer Gedanke schoß ihr durch den Kopf: Bin ich solch ein Opfer? Liege ich deshalb hier?
Alles, was sie fressen können.
Plötzlich wollte sie so schnell wie möglich von hier fort. Sie bat Adrian um seinen Arm, und gemeinsam gingen sie einige Schritte, bis Cendrine sich mit dem Rücken gegen eine Akazie lehnen konnte, gut zehn Meter von dem geheimnisvollen Bau und seinen Astfingern entfernt.
»Das müssen Sie mir erklären«, sagte sie und rang noch immer um Fassung. »Sie meinen, die Termiten vergreifen sich nicht an den Gebäuden, weil die Eingeborenen ihnen Opfer bringen? Ist das Ihr Ernst?«
»In gewisser Weise, ja. Dieser Termitenbau ist schon in Selkirks frühesten Aufzeichnungen dokumentiert. Aber die San sagen, er stünde schon viel länger hier. Hundert Jahre, vielleicht mehr. Die San bringen ihm regelmäßig ihre Gaben dar, und es scheint zu funktionieren. Seit dieses Haus existiert, hat es keinen einzigen Termitenbefall gegeben. Nicht einen!«
Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Und Ihre Mutter kam nie auf den Gedanken, einen Kammerjäger zu bestellen?«
Während sie sprach, hing sein Blick an ihren Lippen, doch immer dann, wenn sie verstummte, schaute er auf und sah ihr in die Augen.
»O doch, gewiß. Aber mein Vater hat es nicht zugelassen. Die San haben ihn angefleht, nichts gegen das Termitenvolk zu unternehmen. Der Bau scheint für sie eine Art Heiligtum zu sein. Wir sind nur Gäste in diesem Land und sollten diese Dinge respektieren.«
»Ihr Bruder und Ihre Mutter scheinen darin anderer Meinung zu sein.«
Adrians Züge verhärteten sich. »Valerian ist ein Narr. Manchmal glaube ich, er weiß sogar, wie dumm er sich anstellt. Aber er ist zu stolz, seine Ansichten zu ändern. Er hat die Hochnäsigkeit meiner Mutter geerbt, ach was, er ist noch schlimmer als sie, und ich fürchte, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.«
»Aber Ihr Vater ist anders.«
»Oh ja.«
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