Göttin der Wüste
an einem Freitag nach Hause zurück, vier Tage nach Cendrines Ohnmacht am Fuße des Termitenhügels. Er ritt auf einem großen, stämmigen Hengst durch das Torhaus und brachte das Tier auf dem Kieshof zum Stehen. Cendrine und die Mädchen entdeckten ihn durch die Fenster des Schulzimmers.
»Da ist Vater!« rief Salome, und Sekunden später tobten die Zwillinge zur Tür. Dort verharrten sie kurz und warfen Cendrine einen bittenden Blick zu.
»Nun lauft schon«, sagte sie mit gutmütigem Lächeln, und sogleich waren die beiden verschwunden.
Sie selbst trat ans Fenster und schaute hinaus auf den Hof. Das gewaltige Roß, auf dem Titus Kaskaden angekommen war, wurde gerade von zwei Stalljungen davongeführt. Sein Begleitschutz war wahrscheinlich gleich zu den Ställen geritten.
Ob erwartet wurde, daß auch Cendrine am Empfang des Hausherrn teilnahm? Ihr Konflikt mit Madeleine war glimpflich ausgegangen, viel ruhiger, als sie erwartet hatte, aber sie wollte sich kein neuerliches Versäumnis leisten. Sie hatte Madeleine das Geld für die Kleider zurückgegeben, mit der Bemerkung, nichts Passendes gefunden zu haben. Madeleine war gelassen geblieben, beinahe gleichgültig; offenbar hatte sie genug damit zu tun, sich Gedanken zu machen, weshalb Adrian mit einemmal auf seine abendlichen Kammerkonzerte verzichtete. Cendrine hatte fast das Gefühl, daß Madeleine es leid tat, ihr die Szene im Schulzimmer gemacht zu haben, auch wenn nicht der Ansatz einer Entschuldigung über ihre Lippen kam. Zumindest hatte sie seither nichts mehr an Cendrines Kleidung auszusetzen gehabt, und Cendrine hegte bereits die Hoffnung, daß Madeleine sich wichtigeren Sorgen zugewandt hatte.
Die Hausherrin traf sich nun mehrmals in der Woche mit einem holländischen Architekten aus Rehoboth, einer Ansiedlung südlich von Windhuk, und gemeinsam verschwanden sie für Stunden in den Tiefen des Ostflügels, um ihre Pläne für das Hotel zu besprechen. Beim Abendessen präsentierte sie dann stolz neue Skizzen, Karten und Lagepläne, die so komplex und detailreich waren, daß es Cendrine nicht gelang, sie mit dem Grundriß des Flügels in Einklang zu bringen.
Jetzt verließ sie das Schulzimmer und eilte durch die Steinerne Halle und das Musikzimmer in die äußere Eingangshalle. Schon von weitem drang ihr der Jubel der Mädchen entgegen.
Als Cendrine die Halle betrat, war Madeleine noch nicht eingetroffen. Sie blieb in einiger Entfernung stehen und sah lächelnd zu, wie Titus Kaskaden seine Töchter herumwirbelte, an sich drückte und mit Küssen überhäufte.
»Hast du uns was mitgebracht?« fragte Salome.
Titus runzelte die Stirn und tat, als müsse er überlegen. »Mir ist, als wäre da etwas gewesen, aber wenn ich mich recht entsinne, mußte ich damit ein paar Eingeborene besänftigen, die uns ans Leder wollten.«
Seine Stimme wurde lauter, und er begann wild mit den Armen zu gestikulieren. »Wir lieferten ihnen ein wildes Gefecht, aber schließlich gelang es dem Stammesschamanen, uns mit Hilfe eines bösen Zaubers zu überwältigen. Man fesselte uns an hohe Pfähle und raubte unsere Taschen aus, aber das war diesen Verbrechern noch nicht Beute genug. Sie hielten mir ein Messer an die Kehle und fragten, ob da nicht auch noch irgendwo ein Geschenk für meine süßen Töchterchen wäre, und ihr müßt wohl einsehen, in dieser Lage konnte ich nicht anders, als ihm alles zu verraten. Dann erst ließ er uns laufen.«
Die Mädchen starrten ihn einen Augenblick lang mit offenstehendem Mund an, dann kreischten sie plötzlich vor Lachen und schlugen mit ihren kleinen Fäusten auf ihn ein.
»Du schwindelst!« rief Lucrecia, und Salome sprang auf seinen Rücken wie auf ein Packpferd. Titus verfiel in grölendes Gelächter.
»Wo ist es? Wo ist es?« wollte Salome wissen.
»Schon gut«, wiegelte er immer noch lachend ab. »Draußen, bei dem übrigen Gepäck. Aber ich fürchte, ihr müßt Geduld haben, bis die Diener alles ausgepackt haben.«
»Oooch!« machten die beiden im Chor, und ihre Wangen waren rot vor Spannung.
Titus setzte Salome am Boden ab, und im selben Moment fiel sein Blick auf Cendrine. »Ah, Fräulein Muck, ich habe Sie gar nicht bemerkt.«
Sie ging auf ihn zu und deutete einen Knicks an. »Während der Ausbildung hat man uns beigebracht, daß gute Gouvernanten für ihre Herrschaft unsichtbar bleiben.«
Er zwirbelte grinsend ein Ende seines Schnauzbartes. »Ich fürchte, daran werden Sie scheitern, denn wie sollte irgendwem eine so
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