Göttin der Wüste
Gewölbe des Torhauses hallten noch einmal lautstark die Hufschläge wider, und Lucrecia bemerkte feinsinnig, daß die Geräusche wie Abschiedsgrüße klängen. Salome dachte einen Augenblick darüber nach, dann stimmte sie zu. Cendrine lobte sie und prophezeite schmunzelnd, daß aus ihnen noch echte Dichterinnen würden. »Die Kaskaden-Schwestern«, scherzte sie, »das klingt gar nicht schlecht. Mindestens so gut wie die Schwestern Brontë.« Das sagte den beiden Mädchen natürlich überhaupt nichts, was Cendrine eine willkommene Möglichkeit verschaffte, die lange Reisezeit totzuschlagen. Sie erzählte den beiden ausführlich von Sturmhöhe und Jane Eyre, und nicht selten standen den Kindern dabei Tränen der Rührung in den Augen.
Vor der Abreise hatte Cendrine ausgiebig die Kartenwerke in der Galerie studiert und einen Weg zur Mine entdeckt, von dem sie annahm, daß er der kürzeste sei. Jetzt aber stellte sie fest, daß Titus die Reiseroute über Windhuk vorzog. Sie verstand auch den Grund: Der Weg durch die nördlichen Auasberge war gewiß beschwerlich und nicht für Kutschenräder geeignet. Titus war aufs äußerste um die Bequemlichkeit seiner Töchter bemüht, so sehr, daß er den langen Umweg in Kauf nahm. Statt der rund siebzig Kilometer, die auf dem kürzesten Wege zwischen dem Anwesen und der Mine lagen, würden sie nun noch einmal die Hälfte mehr zurücklegen müssen. In Anbetracht der sandigen Wege war Titus’ Schätzung einer zweitägigen Hinreise und ebenso langen Rückreise durchaus realistisch.
Sie verbrachten die Nacht in einer einsamen Farm, die verloren inmitten einer kargen Sandebene lag. Cendrine vermutete, dies sei bereits die offene Wüste, doch Titus lachte, als er sie davon reden hörte, und meinte nur, falls sie dies hier bereits für Wüste halte, dann solle sie sich auf einen wahren Alptraum gefaßt machen, wenn sie erst die echten Wüsten Südwests kennenlerne. Als sie ihn daraufhin ein wenig beleidigt daran erinnerte, daß sie immerhin bereits die Namib durchquert hatte, schüttelte er nur den Kopf und sagte, es mache einen gehörigen Unterschied, ob man die Wüste durch das Fenster eines Zugabteils oder aber vom Rücken eines Kamels aus betrachte. Sie ärgerte sich über seine großväterliche Bevormundung, mußte sich aber schließlich eingestehen, daß er wohl recht hatte.
Die Farm gehörte einem deutschen Ehepaar, das sich große Mühe gab, seinen Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Die Bewaffneten schliefen in den beiden Scheunen der Farm und wurden dort verköstigt, während Titus, Cendrine und die Zwillinge im Haupthaus aßen. Es gab ausnahmslos Gerichte, die auf Rezepturen der Einheimischen zurückgingen: eine steife Maisspeise, passenderweise Papp genannt, die so fest war, daß man Portionen abkrümeln und vor dem Verzehr in geschmolzene Butter tunken mußte; Kotelett vom Oryx, einem Spießbock; außerdem Kürbisfleisch, mit Milch und Honig zu einem wunderbaren Dessert angerichtet.
Und dann waren da noch die Dinge, die Cendrine nicht recht zuordnen konnte und sich nach dem Essen von der Farmerin erklären ließ. »Das hier sind Termiten«, sagte die Frau und deutete auf etwas, das Cendrine für eine Nußsorte gehalten hatte, »knackfrisch, weil sie im Augenblick des Schwärmens gefangen wurden. Und dies sind Mopaneraupen, sehr eiweißhaltig. Wir rösten oder trocknen sie, und wenn es nötig ist, kann man sich tagelang nur davon ernähren. Dahinten, am Ende vom Tisch, stehen Termitenhaufenpilze. Sie wachsen in den unterirdischen Gängen der Bauten, und zwar so schnell, daß die kleinen Mistviecher nicht damit nachkommen, sie aufzufressen. Irgendwann stoßen sie dann durch die Oberfläche und bilden riesige Schirme, größer als meine Hand.«
Cendrine bemerkte, daß Titus sie während dieses Vortrags verstohlen beobachtete, und nun, da er sah, wie sich ihr Gesicht verzog, lachte er lauthals und schlug sich vergnügt auf seinen gewaltigen Bauch.
Als ihr bald darauf in ihrem Gästezimmer die Augen zufielen, hörte sie noch immer das Gekicher der Zwillinge in den Betten neben ihr. In dieser Nacht schlief sie besonders tief und traumlos.
Im Morgengrauen brachen sie auf und folgten fast den ganzen Tag einer Sandpiste, die sich endlos durch trockenes Busch- und Weideland zog. Hin und wieder begegneten ihnen andere Reisende, meist auf vollbeladenen Ochsenkarren, aber auch eine Postkutsche auf dem Weg nach Süden. Einige Kilometer vor Okahandja, einer
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