Göttin des Frühlings
streichelte sanft ihre Waden. Die Glühwürmchen umtanzten sie in schwindelerregenden Kreisen und zirpten glücklich. Lina näherte sich einem grünen Büschel, der weder Gras noch Blume war. Zögernd strich sie mit den Fingerspitzen über die breiten, glatten Blätter und dachte dabei, wie sehr sie sich wünschte, dass sie blühen würden. Mit einer grellen Explosion, die sie an ein Feuerwerk erinnerte, schossen blendend weiße Blüten aus der Mitte der Pflanze.
Lina beugte sich vor und atmete den einzigartigen Duft ein. Dann lachte sie laut. Sie selbst hatte diese wunderschöne Blume erschaffen. Die Fröhlichkeit der Jugend und des Neuanfangs erfüllte sie. Ohne nachzudenken folgte sie ihrer Intuition und näherte sich mit einer eleganten Drehung und einem kleinen Hüpfer dem nächsten grünen Büschel. Die Glühwürmchen bildeten einen Lichthof um sie, während sie die Blume ins Leben streichelte und dann zur nächsten tanzte.
Hades stand am Rande des Feldes und konnte einfach nicht genug von ihr bekommen. Wie konnte jemand so wunderbar sein? Er verspürte ein wildes Verlangen, sie zu besitzen und durch diesen Akt endlich wahre Zusammengehörigkeit zu erlangen – die Art von Zusammengehörigkeit, die er so viele Male erlebt hatte, wenn sie sich in den Augen von Seelenverwandten spiegelte.
Sie drehte sich, tanzte und rief die Narzissen ins Leben. Machte sie nicht dasselbe mit ihm? Der Herr der Toten, der Gott, der sich gegen die Liebe gefeit gefühlt hatte, hatte sich in die Göttin des Frühlings verliebt. Egal wie lächerlich oder ironisch das klang, es war geschehen. Und er wollte nicht, dass es aufhörte. Die Entscheidung war gefallen. Er wollte mehr, als die Geister der Liebe lediglich zu betrachten – er wollte die Liebe selbst erleben.
Automatisch rieb er sich über die Brust, wartete auf das Brennen, doch es kam nicht. Obwohl Persephone seinem Körper Schmerzen bereitete und sein Blut zum Kochen brachte, stieg ihm nicht die Galle hoch. Seine Hand hielt inne, und er versuchte sich an das letzte Mal zu erinnern, dass er das Brennen in seiner Brust gespürt hatte. Verwundert blinzelte Hades. Es war an dem Abend gewesen, als er sie beleidigt und allein an der Esstafel hatte sitzen lassen. Seitdem nicht mehr. Er lächelte. Sie war nicht nur der Atem des Frühlings; sie war Balsam für seine müde Seele. Vielleicht sollte seine Einsamkeit wahrhaftig ein Ende finden.
Lina spürte seinen Blick auf sich. Als die nächste Narzisse erblühte, drehte sie sich zu ihm um. Er stand am Rande der Wiese, groß, dunkel und still, und beobachtete sie mit einer Eindringlichkeit, die ihr durch Mark und Bein ging.
Doch warum sollte er immer nur zusehen? Sie wollte mehr von ihm. Lina hatte eine herrliche Idee. Seitdem sie angekommen war, hatte sie mit Jungfrauen und Nymphen herumgetollt. Jetzt war Hades an der Reihe. Selig lächelnd tanzte sie zu ihm, einen Schweif schimmernder Glühwürmchen hinter sich herziehend. Sie nahm seine Hand.
»Komm mit! Mach Blumen mit mir!«
Traurigkeit überschattete seine Augen. »Ich bin der Gott der Toten. Ich kann kein Leben erschaffen.«
»Du kannst es, wenn ich dir helfe«, sagte sie mit mehr Zuversicht, als sie wirklich empfand, und zog an seiner Hand.
»Nein, ich …« Hades seufzte. »Persephone, ich kann dir keinen Wunsch abschlagen.« Widerwillig ließ er sich von ihr auf die Wiese führen.
Umgeben vom schimmernden Dunst der Glühwürmchen, brachte Lina den Gott zu einem Büschel zukünftiger Narzissen. Sie machte Hades Zeichen, sich hinter sie zu stellen, dann schob sie ihre Hände unter seine Arme, bis sie ihre umschlangen. Lina spreizte die Finger, als hätte sie gerade einen Ball geworfen.
»Verschränke deine Finger mit meinen!« Er war so nah, dass ihre Stimme zu einem rauen Schnurren wurde. »Und denke dabei, wie sehr du dir wünschst, dass die Narzisse erblüht.«
Völlig hingerissen ließ Hades seine Hand von Lina führen. Er wünschte sich tatsächlich, die Narzisse zum Blühen bringen zu können, doch noch mehr wünschte er sich, dass er die Göttin sich zu eigen machen konnte, dass sie bei ihm bleiben und ihn für alle Zeit von seiner Einsamkeit erlösen würde.
Seine Finger begannen zu kribbeln, als der Zauber in Persephones Körper sich mit seinem vereinte. Ungläubig sah er zu, wie eine leuchtende Narzisse unter ihrer beider Hände zum Leben erwachte.
Lina jubelte vor Freude und drehte sich mit leuchtendem Gesicht zu ihm um. »Wir haben’s
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