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Göttin des Frühlings

Göttin des Frühlings

Titel: Göttin des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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näherkommenden Götter nicht einmal bemerkte. Intuitiv gab Lina Hades ein Zeichen, hinter ihr zu bleiben, und trat an die Frau heran. Kurz bevor sie deren Schulter berührte, stellte sie fest, dass der Körper des Geistes eine ungewöhnliche Dichte hatte. Wenn er nicht jenes typisch blasse Leuchten der Toten besessen hätte, wäre Lina der Ansicht gewesen, dass es eine lebendige Frau war, die sich irgendwie verirrt hatte und versehentlich in die Unterwelt geraten war.
    »Schätzchen, was ist denn los?«, fragte Lina sanft.
    Die Frau fuhr zusammen und hob das tränenüberströmte Gesicht, um Lina mit verwirrten braunen Augen anzustarren. Sofort erkannte sie die Göttin und neigte ehrerbietig den Kopf. Dann erblickte sie Hades und schlug die Hand vor den Mund. Sie verbeugte sich auch in seine Richtung, neigte sich nach links und rechts und wusste gar nicht, welchem der beiden Unsterblichen sie zuerst den Respekt erweisen sollte.
    »Ich wollte die Götter nicht stören!«, weinte sie und wischte sich die Augen. Ungelenk kam sie auf die Füße und entfernte sich hastig rückwärts, fort von Lina. »Bitte, verzeiht mir.«
    »Nein.« Lina streckte beruhigend die Hand aus. Nervös hielt die Frau inne, starrte auf den ausgestreckten Arm. Lina fand, sie sähe aus wie eine verschreckte Maus. Sie seufzte und sprach mit der Toten auf eine Weise, wie sie immer mit aufgeregten jungen Tieren sprach. »Bleib doch! Du hast uns nicht gestört. Hades und ich haben gerade einen Spaziergang gemacht und hörten dich weinen. Wir haben uns Sorgen gemacht, wir waren nicht wütend.«
    Die Frau schien sich leicht zu entspannen.
    »Wie ist dein Name?«, fragte Hades mit der väterlichen Stimme, die er auch bei Eurydike benutzte.
    Nervös warf die Frau ihm einen kurzen Blick zu. »Alcetis.«
    »Erzähl uns, warum du geweint hast, Alcetis«, sagte Lina sanft.
    Die junge Frau sah zu Boden und sprach mit ihren Füßen. »Ich bin so unglaublich einsam. Ich vermisse meinen Mann und meine Familie so sehr.« Sie drückte sich den Handrücken gegen den Mund und versuchte erfolglos, ein Schluchzen zu unterdrücken.
    Linas besorgter Blick suchte Hades. Sie merkte, dass auch er verwundert war über die Worte des Geistes. Dann neigte er den Kopf und lauschte. Seine Augen schienen dunkler zu werden, und er presste die Lippen zusammen, bevor er mit dem Geist sprach.
    »Du bist vor deiner Zeit gekommen, Alcetis«, sagte Hades mit einer von Traurigkeit umwölkten Stimme.
    Der Geist schluchzte herzzerreißend. »Nein, bin ich nicht. Aber ich musste kommen.«
    Hades runzelte die Stirn. »Du musstest nicht. Es war deine freie Wahl.«
    Alcetis hob ihr tränenüberströmtes Gesicht. »Verstehst du denn nicht? Er hatte andere gefragt. Sie wollten nicht. Ich musste.«
    Völlig verwirrt schüttelte Lina den Kopf. »Moment mal, ich verstehe überhaupt nichts. Worüber redet ihr beiden da? Hat jemand einen Fehler gemacht?«
    »Alcetis, erkläre bitte Persephone, warum du in die Unterwelt gekommen bist«, sagte Hades.
    Alcetis holte tief Luft und wischte sich mit dem Ärmel ihres Totenhemdes übers Gesicht. »Ich bin erst seit kurzer Zeit verheiratet. Mein Mann heißt Admetus.« Ihr feuchtes Gesicht leuchtete auf, als sie seinen Namen sprach, ja, sie lächelte beinahe. »Gestern prophezeiten die Seher bei Sonnenaufgang, dass Admetus noch vor Sonnenuntergang sterben würde. Mein Mann rief sofort Apollo an, und der Gott des Lichts eilte herbei. Tatsächlich war die Prophezeiung richtig. Die Schicksalsgöttinnen hatten Admetus’ Lebensfaden zu Ende gesponnen, zur Dämmerung würde die sterbliche Verbindung durchtrennt werden. Doch mein Ehemann ist seit langem ein Liebling des Lichtgottes, und Apollo erhörte die Rufe meines Gatten. Er gewährte ihm ein neues Schicksal. Er würde verschont werden, wenn jemand anders bereit sei, an seiner Stelle zu sterben. Zuerst ging Admetus zu seinen Eltern, die alt sind und nicht mehr gesund, doch sie weigerten sich. Dann fragte er seine Brüder. Auch sie wollten nicht an seiner Stelle sterben. Er wandte sich an seine engsten Freunde, versicherte ihnen, dass er gut für ihre Familie sorgen würde, doch die Antwort war immer dieselbe. Niemand war bereit, für ihn zu sterben. Verzweifelt kehrte er nach Hause zurück, um sein Schicksal abzuwarten.« Alcetis hielt inne und sah Lina fragend an. »Ich konnte ihn nicht sterben lassen.«
    Hades schob den Kiefer vor, doch als er sprach, verriet seine Stimme keine negative Regung. »Und da hat er

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