Göttin des Frühlings
hätte sie eine heftige Affäre mit ihm gehabt, wäre befriedigt gewesen und entspannt zurückgekehrt, wenn die Zeit gekommen wäre.
Nein, es war nicht nur der Sex gewesen.
Die Erinnerung an die Seelenverwandten quälte Lina, ebenso der Blick von Hades, als er ihr seine Liebe gestanden hatte. Sie hatte mit denselben Worten antworten wollen, doch sie war nicht frei, sich ihm zu versprechen – noch nicht, nicht bevor sie das mit Demeter geklärt hatte. Und das hatte ihr das Herz gebrochen.
Lina hatte sich nicht in ihn verlieben wollen. Sie war mit den besten Absichten in die Unterwelt gegangen; sie hatte eine Aufgabe zu erledigen gehabt. Punkt. Sie hatte kein Interesse an einer Romanze, an Liebe oder Sex gehabt. Und ehrlich gesagt war die Unterwelt der letzte Ort, an dem sie solche Dinge zu finden erwartet hätte.
Merda!
Demeter hatte Hades als einen geschlechtslosen Langeweiler beschrieben. Die Wahrheit hatte Lina völlig unvorbereitet getroffen.
Sie wickelte eine Strähne von Orions seidenglatter Mähne um ihren Finger, während der Hengst sich geschickt durch den Wald voller Geisterbäume schlängelte. Lina saß so richtig in der Patsche. Sie liebte Hades – daran gab es keinen Zweifel –, aber ein bohrender Gedanke ließ ihr einfach keine Ruhe. So lange sie bei ihm war, so lange sie ihn berühren und ihm in die Augen sehen konnte, war es leicht zu glauben, dass auch er sie liebte. Sie – Carolina Francesca Santoro – und nicht irgendeine leichtlebige junge Göttin. Und war er nicht derjenige gewesen, der ihr erklärt hatte, dass die wahre Liebe mehr mit der Seele als mit dem Körper zu tun hatte? Warum also sollte es für ihn einen Unterschied machen, wenn ihr wahrer Körper der einer dreiunddreißigjährigen Sterblichen war? Theoretisch sollte es das nicht.
Orion schoss durch den dunklen Tunnel auf den immer größer werdenden Lichtfleck der Welt oben zu.
Es war nicht zu leugnen, dass sie Hades angelogen hatte. Auch wenn sie nicht gewollt hatte, dass er sich in sie verliebte – würde er das auch noch glauben, wenn er die Wahrheit erfuhr? Würde er das verstehen?
Und, am wichtigsten: Würde er sie dennoch lieben?
Orion galoppierte aus dem Tunnel in das weiche Licht eines kühlen frühen Morgens. Lina ließ den Hengst anhalten, versuchte, sich zu orientieren, und lenkte ihn in Richtung des Marmorbeckens, in dem sich Demeters kugelförmiges Orakel befand. Dort glitt sie vom Rücken des Pferdes.
»Sei lieb und warte hier auf mich. Hoffentlich dauert es nicht zu lange.«
»Sie ist mit Orion losgeritten, um Zerberus ein Leckerli zu bringen?«
Der Daimon nickte, leicht verärgert. »Ich habe den Weinschlauch auch noch selbst gefüllt. Sie will das Riesenvieh Ambrosia trinken lassen!«
Zu jedem anderen Anlass hätte Hades darüber gelacht. Jetzt stachen ihm Zweifel ins Herz. »Aber sie hat mir erzählt, sie sei erschöpft. Sie wollte baden und dann ruhen. Warum sollte sie stattdessen reiten gehen?«
»Das kann nur Persephone beantworten, Herr.«
Das brummende Unbehagen, das seit dem Morgen an ihm genagt hatte, wurde größer. Er musste sie verletzt haben. Hatte er ihr Angst gemacht? Oder hatte er ihr zu schnell seine Liebe gestanden? Seine Brust zog sich zusammen. Sie hatte ihm nicht mit einem Liebesschwur geantwortet. Er erinnerte sich an ihre Tränen. Still verfluchte er sich für seine Unerfahrenheit und wandte sich wieder an den Daimon.
»Bring mir die Hadeskappe!«, befahl er.
Lina betrachtete das Orakel. Reglos und gütig ruhte es dort, eine schlichte milchigweiße Glaskugel. Aber sie stellte die Verbindung zu einer Göttin her, die die Macht hatte, Einfluss auf ihre Zukunft zu nehmen. Lina schloss die Augen und gestand sich ein, dass sie nicht einfach nur nervös war, sondern dass sie Angst hatte. Wie sollte das funktionieren? Sie war eine Sterbliche aus einer anderen Zeit, von einem anderen Ort. Er war ein Gott der Antike. Tränen der Enttäuschung schossen ihr in die geschlossenen Augen.
Hör auf! Reiß dich zusammen!
Sie musste Demeter alles erzählen.
Persephone war nicht in der Nähe des Hundes. Allerdings hatte Zerberus glücklich den zerrissenen Weinschlauch ausgeschleckt, den sie ihm mitgebracht hatte. Die Göttin war Hades unterwegs nicht entgegengekommen, daher ritt er weiter in Richtung Tunnel. Als er den Fährmann erreichte, berichtete Charon, er habe die Göttin und ihr Ross über den Styx gesetzt.
Hades ging vom Schlimmsten aus. Persephone kehrte
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