Göttin des Frühlings
heraus.
Er wischte sie mit den Daumen ab. »Warum weinst du, Liebste?«
»Es ist alles so vertrackt.«
Hades runzelte die Stirn. »Weil du die Göttin des Frühlings bist?«
»Deswegen auch.«
»Sag mir die Wahrheit, Persephone. Weinst du, weil du dir nicht vorstellen kannst, in der Unterwelt zu bleiben?«
Der Gott versuchte, unaufgeregt zu sprechen, doch Lina sah den Schmerz in seinen Augen.
»Ich möchte bei dir sein«, sagte sie. Es sollte nicht zu ausweichend klingen.
»Dann kann ich mir keine Schwierigkeit vorstellen, die wir nicht gemeinsam überwinden können.« Er umarmte sie stürmisch.
In seinen starken Armen kniff Lina die Augen zusammen, damit ihre Tränen versiegten. Weinen würde auch nicht helfen.
Sie liebte ihn wirklich, aber das war nur ein kleiner Teil der Wahrheit, die er erfahren musste. Sie wollte ihm alles sagen. Sie musste.
Aber sie hatte ihr Wort gegeben, deshalb musste sie zuerst mit Demeter sprechen.
22
»Du sagst, sie ist nicht in ihrem Gemach?«, fuhr Hades den Daimon an.
»Nein, mein Herr. Die Göttin ist fort.«
»Und Eurydike weiß nicht, wo sie ist?«
»Nein, Herr. Eurydike war mit den Bildern beschäftigt, die sie Persephone heute noch zeigen soll.«
Hades ging auf und ab. Sie hatte ihm gesagt, sie wolle ein heißes Bad nehmen und dann ein Nickerchen halten. Ja, sie hatte geistesabwesend gewirkt, doch er hatte sich eingeredet, dass die Göttin nur müde sei. Er hatte ihr Zeit gegeben, und selbst ungewöhnlich zerstreut die täglichen Bittgesuche der Toten entgegengenommen. Die meisten waren erschienen, um Persephone zu sehen, und sichtlich enttäuscht, als die Göttin nicht auftauchte. Hades biss die Zähne aufeinander. Er machte ihnen keinen Vorwurf; er wünschte sich auch nichts mehr, als sie zu sehen. Er konnte noch ihren Geruch auf seiner Haut riechen, und wenn er seinen Gedanken freien Lauf ließ, spürte er ihre weiche Hitze neben sich.
Wo war sie nur hin? Und warum hatte sie ihm nichts gesagt? Was ging ihr durch den Kopf? Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Nach Äonen einsamer Existenz war sein Verlangen zu ungestüm gewesen; er war zu grob mit ihr umgegangen. Vielleicht hatte er sie verletzt. Oder die körperliche Liebe hatte sie nicht befriedigt. Hatte sie ihn mit ihren anderen unsterblichen Liebhabern verglichen und ihn für mangelhaft befunden? Hades ballte die Fäuste. Allein bei dem Gedanken, dass ein anderer Gott sie berührte, wurde ihm schlecht.
»Such sie, Iapis!«, brummte er.
Der Daimon verbeugte sich und verschwand.
Also gut, gestand sich Lina ein, sie war nervös. Sie kaute auf ihrer Unterlippe.
»
Merda!
Warum muss das nur so kompliziert sein?«
Orion legte die Ohren an, um ihre Worte zu verstehen, und wieherte zärtlich als Antwort.
»Ich liebe ihn doch«, sagte sie. »Und was machen wir nun?«
Sie wusste, was
sie
zu tun hatte, weshalb sie Hades aus dem Weg gegangen und mit Orion entwischt war.
»Aber ich glaube schon, dass meine Geschichte überzeugend war«, sagte sie zu Orion. »Iapis ist bestimmt nur ein klein bisschen sauer, wenn er herausfindet, dass der große Weinschlauch mit Ambrosia, den er auf Eurydikes Beharren bis zum Rande füllen musste, für Zerberus bestimmt ist.«
Als der Name des dreiköpfigen Hundes fiel, schnaubte Orion entsetzt.
»Ach, komm, so schlimm ist er gar nicht. Vielleicht ist er ein heimlicher Alkoholiker, aber er ist doch liebenswert. Du weißt ja, dass ich dich am liebsten mag.« Sie tätschelte das schimmernde Fell des Pferdes. Orion reckte den Kopf und verfiel vom Trab in einen Kantergalopp. Schnell kamen sie auf dem dunklen Weg voran. Linas treue Lichtkugel schwebte über ihrer rechten Schulter und hielt mit dem Hengst Schritt. In der Ferne konnte sie den milchigweißen Umriss des geisterhaften Waldes erkennen.
Sie fragte sich, ob Hades ihre Abwesenheit schon bemerkt hatte. Sie hoffte es nicht, doch wenn er nach ihr sah, würde Eurydike ihm sagen, dass Persephone Zerberus das Leckerli bringen wollte, das sie dem Hund versprochen hatte, und die Stallburschen würden berichten, dass sie mit Orion ausgeritten war. Hades sollte sich keine Sorgen machen. Das wollte sie nicht. Sie wollte ihm keinerlei Schmerzen bereiten.
Ihre gemeinsame Nacht war eine neue Erfahrung für sie gewesen. Hades hatte in ihr Gefühle geweckt, die bis dahin lediglich flüchtige Träume und Phantasien gewesen waren. Und dabei ging es nicht nur um Sex. Lina seufzte. Damit wäre sie ja noch zurechtgekommen. Dann
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