Göttin des Frühlings
an einem Ort erledigen sollst, von dem du annahmst, er existiere nur im Märchen und in Gutenachtgeschichten. Du müsstest gar nicht unbedingt in der Hölle sein, um dich so zu fühlen, als seist du dort.«
Eirene blinzelte verwirrt.
»Verstehst du, so einfach ist das nicht, ja?« Lina wandte sich wieder an Demeter. »Was für eine Macht?«
»Persephone ist die Göttin des Frühlings. Sie wird begleitet von Licht und Leben und kann ihre Gaben mit anderen teilen, wenn sie will«, sagte Demeter.
Lina bekam große Augen. »Du schickst mich hinunter in die Hölle, und ich kann Menschen wieder zum Leben erwecken?«
»Nicht Menschen. Persephone kann toten Sterblichen nicht das Leben zurückgeben. Ich teile mein Reich mit meiner Tochter, deshalb herrscht sie über alles, was wächst: Blumen und Bäume, der Weizen auf den Feldern und das Gras unter unseren Füßen. Alles reagiert auf Persephones Berührung«, erklärte die Göttin. »Außerdem kann sie Licht schaffen. Hab keine Angst, die Unterwelt könne ein dunkler, freudloser Ort sein. Persephones Gegenwart schafft Licht.«
»Ich kann also Blumen wachsen lassen und mache alles heller. Was noch?«
»Alles was du brauchst, hast du in dir. Schaue tief in dich hinein, dann findest du alle Kraft, die du suchst«, sagte Demeter rätselhaft.
Lina blickte der Göttin in die Augen. Sie merkte sofort, wenn ihr jemand versuchte auszuweichen.
Gut, also wollte Demeter nicht, dass Lina das Ausmaß der Kräfte in ihrem Körper kannte.
»Ich nehme an, manches muss ich einfach selbst herausfinden«, sagte sie vorsichtig.
»Du begreifst schnell. Du wirst wenig Mühe haben, dein Ziel zu erreichen«, sagte Demeter.
»Aber warum sechs Monate? Das kommt mir lang vor, wenn ich angeblich nur wenig Mühe habe, mein Ziel zu erreichen«, gab Lina zurück.
»Deine Bäckerei braucht sechs Monate, um zu florieren. Aber sorge dich nicht um die verstreichende Zeit – sie wird bei den Göttern anders gemessen.« Demeter machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sechs Stunden, sechs Monate, sechs Jahre – das ist alles dasselbe. Konzentriere dich auf dein Ziel, dann wird alles gut.«
»Und dieses Ziel ist, in der Unterwelt zurechtzukommen?«
Demeter nickte. »So kann man es auch ausdrücken.«
»Ich nehme an, es gibt da unten irgendein Problem.«
»Denke es dir als ein Problem mit dem Glauben.« Demeter zuckte lässig mit den Schultern. »Die Unterwelt braucht die Nähe einer Göttin. Sie war zu lange ein Ort ohne weiblichen Einfluss. So einfach ist das. Lasse zu, dass die Toten dich sehen. Sie müssen überzeugt sein, dass ihre ewige Ruhe von der Liebe und Aufmerksamkeit einer Göttin begleitet wird. Sieh dich selbst als Repräsentantin, als Symbol weiblicher Stärke und Weisheit. Sterbliche Seelen sehnen sich nach der Liebe und Aufmerksamkeit einer unsterblichen Mutter. Allein deine Gegenwart wird dafür sorgen, dass sich allmählich alles richtet.«
Lina rieb sich die Stirn. Was war da unten bloß los? Gab es dort so was wie eine Bande männlicher Geister, die sich die mythologische Version der Fußball- WM ansahen, sich im Schritt kratzten und geisterhafte Frauen zwangen, ihnen fettige Mahlzeiten zu kochen?
Demeters sachliche Stimme drang in Linas Gedankenspiel.
»Stell es dir wie eine große Bäckerei vor, in der es drunter und drüber geht, weil die Besitzerin lange nicht mehr da war. Mache Gebrauch von deiner Weisheit und Erfahrung, um es wieder in Ordnung zu bringen. Und sei dir dabei bewusst, dass du dich bei einer Göttin revanchierst.«
»Demeter, die Zeit ist kurz. Sie muss ihre Reise antreten«, drängte Eirene.
»Du hast wie immer recht, meine Freundin.« Demeter lächelte Eirene an, erhob sich und gab Lina ein Zeichen, ihr zu folgen. »Komm, ich bringe dich zum Eingang der Unterwelt.«
»Das ist alles?«, fragte Lina atemlos. »Das sind alle Anweisungen, die ich von dir bekommen werde?«
»Bist du ein Kind, das man an der Hand herumführen muss?«, fragte Eirene sarkastisch.
»Weißt du, wenn du das Grau in deinem Haar ein bisschen färben würdest, würde sich bestimmt auch dein Verhalten verbessern. Bei mir funktioniert das immer«, höhnte Lina.
Eirene öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
Demeter überspielte ihr überraschtes Lachen mit einem kleinen Husten. Diese Menschenfrau hatte auf jeden Fall ihren eigenen Kopf. Die Göttin räusperte sich, bevor sie sich wieder an Lina wandte.
»Ich werde dir keine Unterstützung vorenthalten. Ich habe
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