Göttin des Frühlings
diesen Saal zu hängen, weil sie so ein wunderbar klares Licht auf den Esstisch werfen und die Kandelaber aus Chrysokoll perfekt ergänzen.«
Lina senkte den verblüfften Blick von den Diamanten auf das halbe Dutzend mehrstöckiger Leuchter, die in Reih und Glied auf dem langen Tisch aufgestellt waren. Sie waren aus einem ungewöhnlichen grünblauen Stein, zu dem die leuchtenden schneeweißen Kerzen wunderbar passten.
»Chrysokoll?«, fragte Lina. »Ich glaube nicht, dass ich den Stein kenne.«
»Chrysokoll versteckt sich tief in der Erde.« Hades’ tiefe Stimme ließ Lina zusammenfahren. Sie hatte nicht gehört, dass er den Raum betreten hatte. »Mir gefällt die einzigartige Mischung aus den Farben Türkis, Jade und Lapislazuli, doch der Grund, warum ich beschlossen habe, die Chrysokoll-Kandelaber auf die Tafel zu stellen, sind die Eigenschaften dieses Steins.« Er hielt inne, als sei er tief in Gedanken versunken.
»Welche Eigenschaften hat dieser Stein denn?«, fragte Eurydike mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war.
Hades lächelte sie warmherzig an. »Chrysokoll ist der Stein des Friedens. Er besänftigt die Gemüter.«
Eurydike bekam große Augen. »Dann ist er die beste Wahl für einen Speisesaal.«
»Ich stimme dir zu, Kleine«, sagte Iapis, und das Mädchen errötete. Dann verbeugte er sich vor Hades und Persephone und wies auf den Tisch. »Wenn ihr euch nun setzen mögt, teile ich den Dienern mit, dass aufgetragen werden kann.«
Hades nickte kurz und schritt hinüber zur Tafel. Er zog einen Stuhl mit hoher Rückenlehne hervor, der vor einem der zwei Gedecke am Ende der großen Marmorfläche stand, und machte Lina Zeichen, Platz zu nehmen.
»Danke«, sagte sie, setzte sich und glättete die seidigen Falten ihres Rocks. Sie war so gefesselt von den Lüstern und Kandelabern, dass sie das wunderbare Porzellan und die Kristallgläser gar nicht bemerkt hatte.
Eurydike hatte den Raum mit Iapis verlassen, und Lina war allein mit dem Gott. Nervös lächelte sie ihn an und versuchte, nicht zu stark zu zappeln. Hades hatte sich umgezogen. Seine Kleidung war kostbar und ebenso schwarz wie das togaähnliche Gewand, doch sie war mit einem komplizierten silbernen Muster versehen. Sein Haar war immer noch zurückgebunden zu einem schweren Zopf, den Umhang allerdings hatte er abgelegt. Jeder andere Mann hätte in so einer Mischung aus Zorro- und Gladiator-Outfit albern ausgesehen, wahrscheinlich sogar peinlich.
Hades nicht.
»Ich hoffe, dein Gemach ist nach deinem Geschmack.«
Okay, dachte Lina. Sie würde sich einfach mit ihm unterhalten. Als sei er ein ganz normaler Mann.
»Es ist wunderschön – genau wie der Rest deines Palastes«, entgegnete sie. »Iapis sagt, ich habe mich bei dir für die herzliche Begrüßung mit den Blumensträußen und dem frisch eingelassenen Bad zu bedanken. Vielen Dank, alles ist einfach herrlich. Ich habe eher das Gefühl, eingeladen worden zu sein, anstatt mich dir aufgedrängt zu haben.« Sie warf ihm ein verlegenes Lächeln zu.
Hades glaubte, nie etwas Schöneres gesehen zu haben als das beschämte Erröten, das ihre Wangen glühen ließ, und plötzlich ertappte er sich bei etwas, das er seit Jahrhunderten nicht mehr getan hatte. Lächelnd beugte er sich vor, nahm Persephones Hand und führte sie an seine Lippen.
»Du bist hier mehr als willkommen, Tochter des Frühlings.«
Lina hatte das Gefühl, sie würde jeden Moment vom Stuhl kippen. In dreiunddreißig Jahren hatte ihr noch kein Mann die Hand geküsst. Sie kannte sich nicht richtig damit aus. Musste sie ihre Hand in seiner lassen? Oder sie wegziehen? Verdammt! Am liebsten hätte sie seinen Kuss einfach erwidert. Stattdessen spürte sie, wie sich ihre Lippen zu einem breiten Lächeln verzogen.
»D...d...danke«, stammelte sie.
Hades ließ ihre Hand sinken und wandte den Blick ab. Wie unbedacht! Er benahm sich wie ein unbesonnener Narr. Sie war eine Göttin; nie durfte er sich erlauben, das zu vergessen.
Lina merkte, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte und er plötzlich hart wirkte. Was war passiert? Sie verstand es nicht, doch dann kam ihr der Gedanke, dass diese Seite von Hades – die des strengen, ausdruckslosen Gottes – nur eine Maske war, die er zum Selbstschutz aufsetzte. Bloß warum?
Merda,
schon wenn sie ihren eigenen Gedanken lauschte, hätte sie sich am liebsten eine Ohrfeige gegeben und sich befohlen, damit aufzuhören. Wann hatte ihr disziplinierter Verstand begonnen, in
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