Göttin des Frühlings
natürlich umgehen – ein aalglatter Kerl mit einem schmeichelhaften Spruch. Sie klimperte den hübschen Gott mit ihren langen Wimpern an und seufzte übertrieben mädchenhaft. Obendrein verlieh sie ihrer gehauchten Antwort einen breiten Oklahoma-Akzent.
»Oh, Apollo, ich freue mich so, dass du mich nun endlich fragst!«
Die Lippen des Gottes wollten sich siegessicher nach oben ziehen, doch als Lina weitersprach, erstarrten seine Gesichtszüge.
»Stell dir nur vor – verheiratet mit dem Gott des Lichts! Es könnte gar nicht aufregender sein! Warte nur ab, bis ich es meiner Mutter erzähle!« Aufgeregt drückte sie seine Hand und hüpfte herum wie ein aufgeregtes Schulmädchen.
»Verheiratet?« Seine tiefe Stimme war plötzlich heiser.
Lina strahlte unschuldig in Apollos saphirfarbene Augen.
Er ließ die Hand der Göttin sinken, als sei sie eine flammende Fackel, machte einen Schritt zurück und ging auf Abstand zu ihr.
»Es ist nicht klug, es mit der Ehe zu überstürzen.« Apollo räusperte sich, als würde ihm das Wort »Ehe« quer im Hals sitzen.
Lina runzelte demonstrativ die Stirn.
Ein goldenes Blitzen hinter Apollos rechter Schulter zog ihr Interesse auf sich, so dass sie den markigen Spruch verschluckte, den sie sich zurechtgelegt hatte.
»Oh, die sind ja wunderschön!« Sie vergaß den charmanten Gott und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die vier Pferde, die näher getrabt kamen. Sie waren vor einen goldenen Streitwagen gespannt, der so grell leuchtete, dass Linas Augen tränten. Und diese Rösser! Sie waren von derselben blendend goldenen Farbe, ihre Mähnen und Schweife waren silbrigweiß. Die vier kamen zum Stehen, schnaubten und stampften mit ihren zarten Hufen.
Apollo sah sich kurz über die Schulter um. Sein Entsetzen darüber, dass die Göttin vom Heiraten gesprochen hatte, verflog, als er seine Fluchtmöglichkeit sah.
»Ja, Hadar, ja, ich komme!« Er drehte sich zu Persephone um. Eigentlich hatte er davonstürzen wollen. Er wähnte sich glücklich, diese Ausrede zu haben. Heiraten? Was hatte sich Persephone dabei gedacht? Doch beim Anblick des verzückten Ausdrucks in ihrem wunderschönen Gesicht zögerte er abermals. Sie war wirklich umwerfend. Apollo spürte das vertraute Zucken in den Lenden. »Ich wusste gar nicht, dass du dich für Pferde interessierst, Persephone.«
»Ich liebe Pferde«, sagte sie, ohne ihn anzusehen.
»Komm, ich stelle dich ihnen vor!«
Er hielt ihr die Hand hin. Geistesabwesend ergriff Lina sie und eilte freudig auf die Tiere zu. Apollo runzelte die Stirn. Es war, als hätte sie ihn vergessen. Er bekam ein sonderbares Gefühl. Noch nie hatte eine Göttin ihn vergessen – schon gar keine junge Göttin, die gerade versucht hatte, ihn zu einer Hochzeit zu überreden.
Die vier Stuten scharrten im Boden und schnaubten ungeduldig durch die Nüstern. Mit einer Verbeugung stellte Apollo die Tiere vor.
»Persephone, Göttin des Frühlings, ich fühle mich geehrt, dir die Stuten vorstellen zu dürfen, die das Licht der Sonne durch den Himmel ziehen. Das sind Hadar, Aquila, Carina und Deneb«, sagte er und wies auf ein Tier nach dem anderen.
Persephone knickste anmutig. »Ich freue mich so, euch alle kennenzulernen. Euer Fell hat eine wirklich unglaubliche Farbe! Ihr seid atemberaubend.«
Ihre Stimme hatte eine unmittelbare Wirkung auf die Pferde. Vier Paar Ohren richteten sich nach vorn. Die Hufe hörten auf zu scharren. Die Stute, die der Göttin am nächsten war, streckte ihr Maul vorsichtig in deren Richtung und wieherte.
»Oh, meine Schönheit«, sagte Persephone und streichelte das Tier.
Apollo war sprachlos. Er sah zu, wie die Göttin von einem Pferd zum anderen ging, schnalzte und murmelte und jedem geheimnisvolle Kosenamen zuflüsterte. Seine sonst unnahbaren, stolzen Stuten begegneten Persephone mit erkennbarer Wärme. Sie beschnupperten ihr Gesicht und drängten sich an sie, um gestreichelt zu werden. Beinahe hätten sie mit dem Schweif geschlagen, um Persephones Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Die Reaktion der Tiere erstaunte den Gott, doch ebenso wunderte er sich über Persephone. Diese Seite von ihr kannte er nicht. Bisher war sie eine Göttin gewesen, mit der er geflirtet und sogar gelegentlich ein Stelldichein gehabt hatte – jeweils nach seinem Gutdünken begonnen und beendet. Er hatte gedacht, sie habe keine anderen Interessen, als Blumen zu pflanzen, mit Nymphen zu spielen und prächtige Gelage zu geben. Doch heute war sie anders.
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