Göttin des Frühlings
Lächeln war siegesbewusst. Hades legte die Finger auf die Lippen. Sein Pfiff durchdrang die Schwärze und flog mit mystischer Geschwindigkeit bis hin zu seinem Palast.
15
»Mit anderen Worten, es gibt keinen Zauberstab oder so ähnlich, den du schwingen kannst, damit ich in Zukunft die richtigen Entscheidungen treffe? Selbst wenn das bedeutet, dass mein Fehler anderen großen Kummer bringt?« Lina wusste, dass sie verzweifelt klang. Worin lag der Sinn, eine Göttin zu sein, wenn man sich trotzdem irren konnte?
Demeters Gesicht war freundlich. »Die Unsterblichkeit bringt keine Weisheit mit sich,
meine Tochter
.« Die Göttin betonte die letzten Worte, um Lina gegenüber zu unterstreichen, welche Rolle sie zu spielen hatte. »Das tut die Erfahrung. Und du hattest in deinem Leben viele Jahre, in denen du viele Erfahrungen gemacht hast. Höre auf deine Intuition. Benutze deinen Verstand. Glaube an dich. Wenn du einen Fehler machst, lerne daraus.« Die Kugel füllte sich mit einem trüben Nebel wolkenähnlicher Ranken, die das Gesicht der Göttin verschleierten. »Kehre mit meinem Segen zu Hades zurück, Tochter.« Demeters Stimme verklang, ihr Bild verschwand.
Lina seufzte. Letztlich war sie auf sich allein gestellt.
»Ich hoffe, Persephone hat es leichter bei
Pani della Dea
«, brummte Lina.
Kaum hatte sie das ausgesprochen, wirbelte der Dunst in der Glaskugel erneut herum. Staunend sah Lina zu, wie die Wolken sich klärten und eine Szene zeigten, bei der sich ihr Magen vor unerwartetem Heimweh zusammenzog.
Lina beugte sich näher über das Orakel, völlig vertieft in das, was sie dort sah.
Pani della Dea
hatte auf jeden Fall einen guten Tag. Die kleine Bäckerei war voller Kunden. Lina blinzelte überrascht: Der Laden war tatsächlich bis auf den letzten Platz gefüllt. Sie spähte in die magische Kugel, zählte die vertrauten Gesichter und stellte fest, dass sie in der Minderheit waren. Die meisten Gäste kannte Lina gar nicht.
Alle machten einen glücklichen Eindruck. Es wurde viel geredet und gelacht, dazu wurde – wieder kniff Lina die Augen zusammen, bis sich ein erfreutes Lachen auf ihrem Gesicht ausbreitete – etwas gegessen, das sie als
Pizza alla romana
zu erkennen glaubte, das Rezept, über das sie zu Demeter gefunden hatte.
An der Wand hinter den Vitrinen hingen mehrere Schilder mit der Aufschrift »Neu!«. In fetten Lettern stand auf einem: PIZZA DEL GIORNO –
Pizza des Tages –
QUATTRO STAGIONI –
Vier Jahreszeiten, mit den besten Zutaten: Tomaten, Artischocken, Pilzen, Oliven, drei Käsesorten und Prosciutto
. Ein anderes Schild verkündete den VINO DEL GIORNO –
den Wein des Tages
– PEPPOLI , CHIANTI CLASSICO RISERVA . Aber das dritte Schild verwirrte Lina. Darauf stand lediglich:
AMBROSIA - FRISCHKÄSE NUR DREI BECHER PRO KUNDE .
Ambrosia-Frischkäse? Was war das denn?
Plötzlich stieß Lina einen kleinen Schrei aus und lief rot an, denn sie hatte sich selbst entdeckt, wie sie durch die Schwingtüren aus der Küche kam und den Verkaufsraum betrat. Mehrmals schüttelte Lina den Kopf. Sie konnte es nicht fassen.
Was hatte Persephone mit ihr angestellt? Sie trug keines ihrer maßgeschneiderten Business-Kostüme. Sie hatte einen knappen Wickelrock aus greller pinkfarbener Seide an, dazu ein fließendes kurzärmeliges Oberteil von der Farbe einer Honigmelone. Der Rock war kurz. Sehr kurz. Und pink! Lina besaß überhaupt nichts in Pink! Der V-Ausschnitt des schmalen Oberteils gestattete gefährlich tiefe Einblicke in ihren Ausschnitt. Mit offenem Mund starrte sie ihren Körper an. Das lange Bein, das der Rock erkennen ließ, war gebräunt, ebenso der Rest ihres Körpers, von dem man, wie Lina fand, deutlich zu viel sehen konnte. Außerdem hatte sie abgenommen.
Lina kniff die Augen zusammen und betrachtete sich. Nein, vielleicht war sie doch nicht dümmer geworden. Sie wirkte muskulös und fit. Ihre Kurven waren noch da, sie waren nur straffer und knackiger. Und ihr Haar sah anders aus. Es war länger – mehrere Zentimeter. Wie konnte das sein? War sie nicht erst seit einem guten Tag fort? Lina schaute erneut hin. Doch, es war auf jeden Fall länger. Die ungebändigten Locken reichten ihr bis auf die Schulter und verliehen ihr ein freches, windzerzaustes Aussehen.
Ein Mann winkte Lina zu. Sie reagierte mit einem kecken Lächeln und warf das Haar nach hinten. Der Mann –
Merda!
Es war nicht nur ein Mann, es war ein unglaublich junger Kerl – eilte zum Objekt seiner
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