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Göttin des Frühlings

Göttin des Frühlings

Titel: Göttin des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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erwarten, die Leimoniaden zu sehen.«
    Erneut seufzte Hades und unterdrückte seine Enttäuschung, Persephone teilen zu müssen. Doch würde er es wirklich anders haben wollen? Nein, er wollte, dass die Göttin in seinem Reich akzeptiert wurde, und dazu gehörte die Verantwortung, sich um andere zu kümmern. Widerwillig trennte er sich von ihr und griff nach einem dunklen Stoff, der hinter ihm an der Wand hing. Diesen wickelte er togaähnlich um seinen Körper.
    »Ich komme«, sagte Lina und beeilte sich, Eurydike einzuholen, die durch die Tür und über den Pfad huschte. Hades begleitete die Göttin, und Lina spürte seine Gegenwart wie ein Stromkabel, das im Einklang mit ihrer eigenen Spannung summte. Seine Nähe und die Erinnerung an seine Berührung gaben ihr Kraft. Wie lange war es her, dass ein Mann sie atemlos gemacht und erregt hatte? Zu lange, sagte sie sich und überhörte die leise Stimme der Vernunft, die ihr riet, darüber nachzudenken, in was sie sich gerade stürzte, die ihr ins Gedächtnis rief, dass sie in der Unterwelt nur eine Aufgabe zu erledigen hatte und überhaupt nichts über Unsterbliche wusste, auch nicht über Leimoniaden, übers Nektarsammeln und, und, und …
    Der Pfad führte um die Stallungen herum und mündete im weitläufigen Park des Palastes. Stolpernd kam Lina zum Stehen und hielt staunend die Luft an.
    Gestalten aus strahlendem Licht bevölkerten die unterste Ebene des Rasens. Als Lina erschien, erbebten die leuchtenden Silhouetten, dann stürzten sie sich mit einem Geräusch, das wie das Gurren von Tauben klang, auf Lina, Eurydike und Hades. Lina war sprachlos. Himmel noch mal! Ihr Verstand stellte fest, dass die um sie schwebenden, gurrenden Lichter die Gestalt Hunderter
nackter
Frauen hatten.
    Sie waren klein und zierlich, die Scheitel ihrer hellen Köpfe reichten kaum bis zu Linas Schulter, doch jede war einzigartig und schön – wie Schneeflocken oder Blütenblätter. Und auf dem Rücken jeder Nymphe spross ein funkelndes, hauchzartes Flügelpaar so fein wie Nebel.
    Eurydike kicherte. »Warum haben die alle nichts an?«
    Das Echo ihres jugendlichen Lachens perlte durch die Leimoniaden wie Wasser über Kieselsteine im Bach.
    »Sieh genauer hin«, antwortete Hades’ tiefe Stimme. »Sie sind gekleidet in Licht und Lachen und in den Glanz ihrer Seele. Das ist die einzige Kleidung, die Blumen- und Wiesengeister brauchen.«
    »Ich finde sie perfekt«, sagte Lina.
    Der Klang ihrer Stimme löste eine Woge der Aufregung in der Gruppe aus. Die Nymphen wirbelten und hüpften entzückt umher.
    »Komm zu uns, Göttin des Frühlings! Segne die Lese des Nektars, aus dem der Ambrosia der Unterwelt werden wird!«
    Die Nymphen sprachen mit einer einzigen melodischen Stimme, die durch die leichte Brise magisch verstärkt wurde.
    »Komm mit uns, Persephone! Die Blumen erwarten die Göttin des Frühlings!«
    Die Stimmen waren verzaubernd. Intuitiv reagierte Linas Körper. Sie löste sich von Eurydike und Hades, gesellte sich zu den Leimoniaden und wurde umfangen von Musik und dem Schwirren Hunderter Flügel. Auf Füßen so leicht wie Luft schwebte Lina mit den Geistern hinaus auf die blumenübersäten Wiesen.
    Die Leimoniaden begannen zu summen. Das Geräusch surrte durch Linas Blut, erinnerte sie an warme Sommernächte, an den Geruch frisch gemähten Heus, an den Geschmack von Zartbitterschokolade. Gebannt sah sie zu, wie die strahlenden Gestalten ausschwärmten und auf die wartenden Blüten hinabstießen. Mit schwirrenden Flügeln schwebten sie über dem Boden wie kaum fassbare Kolibris, dann tauchten sie ihre Finger alle gemeinsam in die offenen Kelche.
    Lina sah zu, wie die Nymphen goldene Tautropfen aus den Blumen holten. Hades war vergessen, Eurydike nicht mehr in ihrem Kopf. Nun erfüllte sie nur noch ein einziger Gedanke, nämlich wie gerne sie jetzt bei den Leimoniaden mithelfen würde.
    »Rufe den Nektar zu dir! Nimm als Frühlingsgöttin deinen rechtmäßigen Platz unter den Leimoniaden ein.«
    Das Geflüster in Linas Kopf war ruhelos und ungeduldig. Es war die letzte Aufforderung, die sie noch brauchte. Ihr Herz pochte im Einklang mit dem Lied der Nymphen. Sie näherte sich einem Büschel milchweißer Tulpen. Die Stiele waren lang und dick, die geöffneten Blüten stellten das frische Gelb der Stempel zur Schau.
    Lina musste den Nektar hervorlocken. Sie kniff die Augen zusammen, tauchte den Finger in eine der Tulpen und konzentrierte sich. Der erste Tropfen goldener Flüssigkeit

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