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Göttin des Frühlings

Göttin des Frühlings

Titel: Göttin des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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klebrigen Faden zog. »Der Nektar würde aus deinem Badewasser bestimmt eine süße Brühe machen.«
    »Eurydike, du bist ein Genie. Heute Abend begebe ich mich in deine fähigen Hände.«
     
     
    Der kleine Geist hatte sich in einen strengen Armeeausbilder verwandelt. Kaum betraten sie den Palast, gab Eurydike Befehle aus und dirigierte einen ganzen Schwarm umherhuschender Diener. Sie erlaubte Lina keinen einzigen Handgriff, die Göttin durfte lediglich auf der Kante ihres Schminkstuhls sitzen und Ambrosia nippen.
    »Die Göttin würde es vorziehen, auf dem Balkon zu baden«, hörte Lina den Geist sagen.
    Mitten im Trinken verschluckte sich Lina. Auf dem Balkon baden? Was dachte sich Eurydike dabei? Der Geist sprach mit einer Stimme, die Lina allmählich als förmlichen Tonfall erkannte: Das ist meine Göttin, und du tust besser, was ich dir sage. Nachdenklich pochte Lina mit dem schlanken Fuß auf den Marmorboden. Eurydike redete, ohne dass Lina eine Chance hatte, dazwischenzukommen.
    »Ja, Mutter badete immer in unserem Innenhof. Nein! Nicht da!«, fuhr sie zwei Diener an, die mit Mühe ein großes Becken ins Badezimmer trugen, und wies auf die Tür inmitten der Fensterreihe. »Da raus damit.«
    »Ähm, Eurydike, warum gehen wir nach draußen auf den Balkon?«
    »Du brauchst dich nicht sorgen, Persephone. Alles wird perfekt sein.« Der kleine Geist beobachtete mit gerunzelter Stirn, wie ein Diener das Becken ein bisschen zu unsanft auf den Marmorboden des Balkons bugsierte.
    »Göttin!« Iapis betrat den Raum und verbeugte sich höflich vor Lina, bevor er sich an den Geist wandte. »Du brauchst mich, Eurydike?«
    »Ja«, erwiderte sie und strich sich das lange dünne Haar hinter die Ohren. »Die Göttin wird auf ihrem Balkon baden und …«
    Hier musste Lina unterbrechen. »Warte, es ist bestimmt eine hübsche Idee, dass ich auf dem Balkon bade – ich meine, die Aussicht ist umwerfend –, aber ich fühle mich wirklich nicht wohl mit … hm …« Lina senkte die Stimme, so dass der Daimon und Eurydike sich vorbeugen mussten, um sie verstehen zu können. »Ich möchte nicht, dass ein ganzer Haufen von Leuten mich nackt sieht.« Selbst wenn es tote Leute waren, fügte sie in Gedanken hinzu.
    Eurydike blinzelte sie an, als begreife sie nicht richtig, was ihre Herrin sagte, doch erleichtert stellte Lina fest, dass Iapis nickte.
    »So ist es auch bei der Göttin Artemis. Sie lässt nicht zu, dass ihre Nacktheit von irgendwelchen Sterblichen gesehen wird, höchstens von ihren Mägden. Aber dieses Problem ist schnell behoben, Persephone. Ich werde einfach anordnen, dass alle Geister sich von deinem Flügel des Palastes und dem umgebenden Gelände fernhalten.«
    Eurydike schenkte dem Daimon ein Lächeln voller Wärme, und Iapis war über alle Maßen zufrieden mit sich selbst. Lina hatte das Gefühl, als befände sie sich inmitten eines wohlwollenden Tornados. Er wirbelte um sie herum und war darauf erpicht, ihr die Kleidung vom Leib zu reißen.
    »Ich möchte wirklich keine Probleme machen«, sagte Lina hilflos.
    »Das ist kein Problem«, versicherte der Daimon ihr.
    »Du bist die Göttin des Frühlings«, sagte Eurydike.
    Offenbar besiegelte dieser Satz alles.
    Resigniert lehnte sich Lina zurück. Inzwischen war ihr egal, ob sie den Nektar auf den seidenbezogenen Stuhl verschmierte. Schließlich war sie die Göttin des Frühlings. Sie sah zu, wie ihr Bad generalstabsmäßig vorbereitet wurde. Offenbar räumte man gerne hinter ihr her. Streng schüttelte Eurydike den Kopf über einen durchsichtigen Diener, der nicht die vorgegebene Anzahl von Handtüchern aus dem Bad geholt hatte. Vielleicht hatten die Bediensteten aber auch einfach nur Angst vor dem kleinen Geist. Immerhin wirkte das Mädchen nicht berührt von den Ereignissen des Tages. Lina nippte an ihrem Ambrosia und dachte nach. War es erst heute Morgen gewesen, dass Orpheus in die Unterwelt hinabgestiegen war? Es kam ihr vor, als sei es schon viel länger her. Wie konnte es sein, dass sie Hades erst seit ein paar Tagen kannte? Was hatte Demeter noch mal gesagt? Irgendetwas in der Richtung, dass die Zeit bei den Göttern anders gemessen wurde. Ihr Gefühl sagte Lina, dass sie Demeters Worten glauben sollte. Die Zeit verging anders in der Welt der Götter, so anders wie ihr geborgtes Leben. Auch ihr Herz fühlte sich fremd an. Die zynische Schutzschicht, die sie in den vergangenen Jahren umhüllt hatte, schien nicht mit in diese Welt gewechselt zu haben. Linas

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