Göttin des Frühlings
das Gefühl, es sei ein bisschen so, als stände sie in einer riesigen Muschel. Der Rand der Schale reichte ihr bis zu den Knien. Fast hätte sie gesagt, sie fühle sich wie eine Perle, da kletterte Eurydike schon auf den Hocker.
»Du kannst mir jetzt die Schüssel bringen.«
Die wartenden Dienerinnen bildeten eine Kette vom Balkon durch die Glastüren bis ins Bad. Von dort reichten sie sanduhrförmige Tongefäße voller Wasser durch, die Eurydike zu Linas Entzücken im dampfenden Schwall über den Kopf der Göttin goss.
Andere Dienerinnen ließen Seife auf Schwämme tropfen, die so weich wie Wattebäuschchen waren. Langsam und vorsichtig begannen sie, Linas Haut zu massieren. Anfänglich blieb sie völlig reglos, streckte lediglich die Arme aus.
Dann hob Eurydike zu singen an, anfangs leise, doch bald fielen die anderen Geister in ihre Weise ein, und süße weibliche Stimmen erfüllten den Balkon.
Sie wartet blass hinter dem Tor,
auf ihrem Haupt das Haar wie Samt,
die Sterblichen ruft sie hervor,
trägt sie in ihrer weichen Hand.
Das Lied war sinnlich und träge, wie der Rhythmus eines Boleros, es rührte etwas tief in Lina an. Gebannt suchte sie in Persephones Erinnerungen.
Sie singen ein überliefertes Loblied auf die Schönheit der Göttin. Sie erweisen dir eine große Ehre.
Sie erwiesen ihr eine große Ehre … Plötzlich war es nicht mehr wichtig, dass Lina sich in einer geborgten Gestalt befand. Sie war lebendig und schön, erfüllt von der erlesenen Macht einer Göttin. Sie entspannte ihren Körper, holte tief Luft und atmete die ganze Anspannung, die Sorgen und Hemmungen ihres sterblichen Lebens aus. Ihre elfenbeinweiße Haut kribbelte, und sie begann, sich träge im Rhythmus des Liedes zu bewegen.
Die sinnlich’ Lippen süßer sind
als Liebe, die vergeht mit Macht.
Niemals darf je ein Menschenkind
schauen der Göttin einsam Pracht.
Das heiße Wasser strömte über ihren nackten Körper, ein seidiges Fließen, dem die seifigen Schwämme folgten. Lina drehte sich und lachte und genoss die Empfindungen, die das Wasser auf ihrer Haut verursachte. Sie spürte, wie die Nachtluft an ihren schlanken Hüften leckte. Es war warm draußen, doch das Wasser war so heiß, dass sie eine Gänsehaut bekam und ihre Brustwarzen sich aufrichteten. Linas Lachen war ansteckend. Bald fielen die Mägde ein, und der Klang von Gesang und Frohsinn schwebte durch den Palast und den Park des Totengottes.
Mit langsamen, nachdenklichen Schritten folgte Hades dem gewundenen Pfad, der durch den Wald zwischen Palast und elysische Gefilden führte. Er brachte ihn zur untersten Terrasse des Parks. Der Gott war froh, dass er auf Persephones Rat gehört hatte. Dido war leicht zu finden gewesen. Er hatte nur nach Äneas suchen müssen. Ihr Geist war in seiner Nähe gewesen, hatte sich elendig verzehrt, wie besessen über jeden Schritt des Kriegers gewacht. Dido hatte nicht von Lethe trinken wollen, so groß war die Kraft ihrer unerwiderten Liebe, doch ihre Seele gehörte Hades, und was er befahl, musste sie tun. Wie immer, wenn man sich Lethe näherte, war Didos Geist schneller geworden. Das verführerische Rufen des Flusses hatte sie verzaubert, so dass ihr Übergang sehr sanft verlaufen war. Doch es war nicht die Erinnerung an die Königin von Karthago, die die Schritte des Gottes verlangsamte. Es war Persephone. Sie spukte ihm durch den Kopf. Obgleich er sie nur kurz in den Armen gehalten hatte, spürte er noch immer ihre samtweiche Haut auf seiner, schmeckte die Süße ihrer Lippen, roch den weiblichen Duft ihres Körpers.
Noch immer konnte er ihr Lachen hören. Hades fluchte vor sich hin. So war die Liebe? Musste er sich vor Sehnsucht nach ihr verzehren?
Wieder dieses Lachen. Aufmerksam lauschend hielt Hades inne. Dann atmete er erleichtert aus. Das Geräusch stammte nicht aus seiner Phantasie. Es wurde von der warmen Abendbrise vom Palast zu ihm herübergetragen. Jetzt konnte er verschiedene Stimme neben der von Persephone erkennen. Einige lachten, andere sangen. Alle waren verlockend weiblich. Als Hades weiterging, war sein Schritt nicht mehr langsam und bedächtig.
Auf der zweiten Terrasse angekommen, suchte der Gott die rückwärtige Fassade des Palastes ab. Das Tageslicht wich dem Abend, und die flackernden Fackeln, die im Park Licht spendeten, halfen ihm nur wenig. Wie immer waren die Palastfenster fröhlich erleuchtet, und Hades meinte, eine kurvige Silhouette vor der Fensterreihe sehen zu können, die zu
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