Göttin des Lichts
Apollo.
Apollo konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so jung und so glücklich gefühlt hatte.
Leider achteten sie beide nicht auf die Straße – er hatte nur Augen für sie, sie sah ständig über die Schulter zu ihm zurück.
»Ich gewinne!«, jubelte sie, doch im gleichen Moment ließ ein Geräusch sie nach vorne schauen, und ihr blieb die Luft weg. Die Straße! Sie hatte die Entfernung vollkommen falsch eingeschätzt, und als sie zu bremsen versuchte, blieb sie mit einem ihrer Pfennigabsätze in einer Ritze am Bordstein hängen. Hilflos wedelte sie mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, aber ihr Fuß knickte um, ein grässlicher Schmerz fuhr in ihren Knöchel, und sie fiel nach vorne.
Schon des Öfteren hatte Apollo bemerkt, dass immer, wenn etwas Furchtbares passierte – zum Beispiel bei Hektors Tod oder damals, als Artemis so wütend auf Aktaion gewesen war –, sich alles plötzlich wie in Zeitlupe abzuspielen schien, dass die Zeit sich dehnte wie austretendes Harz, das zäh und quälend langsam über die raue Rinde eines Baumes quoll. Aber bei Pamelas Unfall war es nicht so, im Gegenteil – alles beschleunigte sich in übernatürlichem Tempo. Gerade noch hatte sie ihn kokett über die Schulter hinweg angelächelt, da schwankte sie auch schon am Rand der Straße, stürzte nach vorn auf die von Metallmonstern wimmelnde Fahrbahn, und Apollo sah bereits ihren Tod vor sich. Es bleib keine Zeit für vernünftiges Nachdenken. Sein Körper handelte impulsiv, geführt von seinem unsterblichen Herzen, das den Gedanken, sie zu verlieren, nicht ertrug.
»Nein!« Mit einer Geschwindigkeit, die alle sterblichen Augen blendete, sprang Apollo vorwärts und streckte die Hand aus. Sein Schrei verursachte einen spontanen Überschallknall, eine Klangwelle brandete auf und ließ die Autos von Pamelas fallendem Körper abprallen.
Sie durfte den harten, nassen Beton nicht berühren, das konnte Apollo nicht zulassen. Mit übermenschlicher Schnelligkeit riss er sie in seine Arme und zog sie auf den Gehweg zurück.
Mit quietschenden Reifen kamen die Autos zum Stehen, ein paar stießen krachend zusammen, lautes Hupen zerriss die Nacht. Aber durch den Regen und den Wind schien niemand den Gott zu bemerken, der für all das verantwortlich war. Den Gott, der jetzt auf dem nassen Pflaster kniete und eine sterbliche Frau an seine Brust drückte.
»Mein Knöchel«, stammelte Pamela, und ihre Stimme zitterte vor Schmerz und Schreck. »Ich glaube, er ist gebrochen.«
Behutsam zog Apollo ihren schlanken Fuß aus dem unbequemen Schuh, fühlte dabei durch ihre zarte Haut bis hinunter zu dem völlig verdrehten, gebrochenen Knochen. Er zuckte innerlich zusammen, so gut konnte er ihre Schmerzen nachempfinden. Rasch fuhr er mit der Hand über ihren Knöchel und befahl den Nervenenden, zur Ruhe zu kommen und die Qual zu beenden. Fast sofort merkte er, wie sich Pamelas Atem vertiefte und sie sich entspannte. Mit einer weichen Bewegung hob er sie hoch, und wie ein heller Sonnenstrahl schritt der Gott des Lichts durch den Regen und die verbeulten Autos hindurch.
Später erzählten die Augenzeugen des grotesken Auffahrunfalls an der Ecke von Las Vegas und Flamingo von einem großen Mann, den sie in dieser Nacht flüchtig im Regen gesehen hatten. Sie sagten, dass sie glaubten, er hätte eine Frau auf den Armen getragen, aber sie wären nicht sicher, weil sie sich nur daran erinnern konnten, wie seine Augen strahlten. Außerdem beteuerten alle, dass sie nicht genau beschreiben konnten, wie er ausgesehen hatte, weil er von einem Licht wie vom Feuer der Sonne umgeben gewesen war.
10
»Sie muss auf ihr Zimmer, aber schnell!«, blaffte Apollo den Hotelpagen an, der mit aufgerissenen Augen die goldene Erscheinung anstarrte, die plötzlich aus der regenverhangenen Nacht vor ihm aufgetaucht war. Die Erscheinung trug eine völlig durchnässte zierliche Frau, die offensichtlich einen Schuh verloren hatte, auf dem Arm.
»Die Aufzüge sind gleich um die Ecke, Sir.«
Erst war Apollo von dem seltsamen Wort verwirrt (was um alles in der Welt waren Aufzüge?), aber dann wurde er wütend.
»Zeig mir ihr Zimmer, sonst zieh ich dir die Haut über die Ohren!«, knurrte er.
»Zimmernummer?«, quiekte der Page.
»Elf einundzwanzig«, antwortete Pamela an Apollos Schulter.
Unter Apollos stechendem Blick nickte der junge Mann und sauste vor ihnen her durch die Schwingtüren. Der Gott des Lichts biss die Zähne zusammen,
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